Zwischen Erinnern, Verstehen und Verbinden
Eine Initiative, die Menschen mit Demenz ins Zentrum rückt – und ihre Geschichten hörbar macht
Herr Merten ist 84 Jahre alt. Er lebt in einer Pflegeeinrichtung, weil die Demenz ihn und seine Familie vor große Herausforderungen gestellt hat. Tagsüber wirkt er meist ruhig, doch in der Nacht durchstreift er die Flure – scheinbar ziellos, nervös. Die Mitarbeitenden sind erschöpft, andere Bewohner:innen gestört. „Warum bleibt er nicht einfach im Bett?“, fragt man sich oft.
Doch was wäre, wenn wir verstehen würden, warum Herr Merten nachts unterwegs ist? Dass er nicht „wach“ ist, sondern im Rhythmus seiner Biografie lebt – 30 Jahre Nachtschicht. Sein Körper weiß und denkt: Jetzt beginnt meine Schicht. Was, wenn wir ihm einen Ort geben – ein Nachtcafé, gedimmtes Licht, ein leises Radio – der ihm signalisiert: Du bist gesehen. Du bist richtig. Auch jetzt, in der Nacht.
Und dann ist mal wieder Sonntag. Seine Tochter ist zu Besuch. Sie schaltet Biathlon ein – ein Sport, den er früher liebte. Doch plötzlich wird Herr Merten ängstlich, sogar aggressiv. Was sie nicht weiß: Ihr Vater war in diesem Moment nicht im Hier und Jetzt. Er war in seiner Kindheit. In einer Zeit, in der Schüsse keine Sportgeräusche waren – sondern Teil des Krieges, den er überlebt hatte.
Was, wenn wir alle besser verstehen würden, dass Demenz nicht nur das Gedächtnis verändert, sondern auch die Zeitebenen des Erlebens? Wenn alle Beteiligten – Mitarbeitende, Angehörige, ja, die ganze Einrichtung – das Wissen, die Empathie und natürlich auch die Zeit hätten, um solchen Momenten mit Verständnis zu begegnen?
“LebensKlang – Demenz im Takt der Erinnerungen begegnen“ setzt genau an diesem Punkt an: Gemeinsam mit zehn Partnerkassen haben wir uns im Jahr 2024 auf den Weg gemacht, 12 Pflegeeinrichtungen dabei zu unterstützen, noch demenzsensibler zu werden. In die Biografie der Menschen zu schauen, Erinnerungen wachzurütteln und mit den Einrichtungen zu überlegen, wie vorhandene Ressourcen noch weiter gestärkt werden können. Wie die beteiligten Pflegeheime von der rund einjährigen Begleitung zur Prävention und Gesundheitsförderung profitieren konnten, zeigt dieser Beitrag.
Das Projekt im Überblick
LebensKlang beinhaltet neben einem einführenden Auftakt und einem Abschlusstermin zwei Workshops zum Thema „Demenzsensibilität“ sowie einen Angehörigenvortrag zum Krankheitsbild Demenz und zur Kommunikation mit Betroffenen. Zusätzlich können die Einrichtungen zwischen den beiden Schulungen „Musik als Brücke zu Menschen mit Demenz“ (Einsatz von Musik im Betreuungsalltag) und „Koffer der Erinnerungen“ (Biografisches Erzählen für Menschen mit Demenz) wählen.

Drei Ziele standen im Fokus
1. Sensibilisierung und Informationsvermittlung
Über 600 Mitarbeitende und Angehörige wurden durch Workshops und Vorträge geschult, um das Krankheitsbild Demenz besser zu verstehen und empathischer begleiten zu können.
2. Etablierung von Gruppenangeboten
3. Organisationsentwicklung und Strukturaufbau
Alle Einrichtungen wurden aktiv dabei unterstützt, noch demenzfreundlicher zu werden und hilfreiche Strukturen zu verankern – im Sinne einer gesundheitsförderlichen Pflegekultur. Dazu fanden zwei Workshops inkl. Einrichtungsbegehung statt, in denen die Teilnehmenden Fachwissen zur demenzsensiblen Pflege sowie zur Kommunikation mit Betroffenen und dem Umgang mit herausforderndem Verhalten aufbauten.
Eine Einrichtung fasste ihre Erfahrungen aus den Workshops wie folgt zusammen: „Eine professionelle Haltung sowie der Aspekt sich nicht immer so wichtig zu nehmen, wurde durch das Projekt LebensKlang gestärt. Unser Fazit: ein Lächeln kann die beste Antwort sein.“
Fazit
Die Teilnehmerzahlen über alle Veranstaltungen und Schulungen hinweg zeigen die gute Erreichung aller beteiligten Zielgruppen in den Einrichtungen. Einmal mehr bestätigt damit auch dieses Pilotprojekt die hohe Relevanz und das große Interesse für das Thema Demenz in Pflegeheimen.


Lessons learned der Pilotierung
Aus der praktischen Umsetzung ergeben sich wertvolle Erkenntnisse für die zukünftige Umsetzung:
- Eine Einrichtungsbegehung mit individuellem Feedback zum Thema „demenzsensible Gestaltung“ wurde als fester Bestandteil flankierend zu den Workshops integriert.
- Praxisorientierung statt Theorie – am wichtigsten sind alltagsnahe Impulse und Ideen für die Betreuung der Bewohner:innen, die in einem stressigen Arbeitsalltag leicht umgesetzt werden können.
- Bedeutsam ist die Teilnahme der beiden Bereiche Pflege und Betreuung, da nur dann ganzheitlich und strukturell etwas an der demenzsensiblen Ausgestaltung der Einrichtung verändert werden kann.
Und so geht’s weiter…
Nach dem offiziellen Abschluss der Pilotierung bleibt LebensKlang lebendig und steht als Teil unseres Pfllegeportfolios allen Interessenten offen. Aktuell wird das Projekt in sechs weiteren Einrichtungen umgesetzt– vier davon haben sich für eine Kombination mit Maßnahmen zur Förderung der Mitarbeitergesundheit entschieden.
Sie sind interessiert?
Möchten auch Sie Pflegeeinrichtungen dabei unterstützen, noch demenzsensibler zu werden? Oder würden Sie gerne LebensKlang in Ihrer Einrichtung umsetzen? Dann freuen wir uns von Ihnen zu hören:

Vivien Dransfeld
Prävention in Lebenswelten und Pflege
Telefon: 0201 56577–382
Mail: vivien.dransfeld@teamgesundheit.de
Ein starkes Miteinander – Danke an unsere Partner:innen
Unser herzlicher Dank gilt den 12 teilnehmenden Einrichtungen für ihre Offenheit, ihr Engagement und ihre Kreativität sowie den finanzierenden Pflegekassen, die dieses Projekt erst möglich gemacht haben. Die gemeinsame Umsetzung hat verdeutlicht, wie passgenaue Angebote, echte Wertschätzung und empathisches Handeln den Alltag von Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen bereichern können.
Hintergrund
Neben der Prävention in Lebenswelten und der betrieblichen Gesundheitsförderung liegt ein Schwerpunkt der Pflegekassen auf der Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen. Dazu stellt der GKV-Spitzenverband den Leitfaden „Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen“ zur Verfügung, anhand dessen die Pflegekassen Leistungen zur Prävention in zugelassenen stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen (nach § 71 Abs. 2 SGB XI) erbringen.