Dr. med. Axel Kip ist Internist mit den Tätigkeitsschwerpunkten Diabetologie, Ernährungsberatung sowie Sport- und Notfallmedizin. Seit 2011 hält er mit großem Erfolg deutschlandweit humorvolle verständliche Vorträge über das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Menschen, und zwar unter medizinischen Gesichtspunkten, durch Studien belegt und nach eigenen Angaben frei von Interessenkonflikten gegenüber Pharma-/Zucker-/oder der Fitness-Industrie – immer bemüht, so objektiv wie möglich zu erklären und Thesen mit Studien aus der Fachwelt zu belegen. Seit zwei Jahren erhält er auch Anfragen von Kindergärten und Schulen – eine „wichtige und positive Entwicklung“, findet er.
Team Gesundheit GmbH:
Herr Dr. Kip, Sie vergleichen die Diabetes-mellitus-Erkrankung in Ihren Vorträgen gern mit der Pest-Epidemie: Im 14. Jahrhundert kamen durch sie binnen sechs Jahren schätzungsweise 25 Millionen Menschen weltweit ums Leben. Längst bezeichnen Experten wie Sie die Fettleibigkeit Adipositas als die schlimmste Epidemie der Menschheit. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO steigt die Zahl der Menschen an, die an Adipositas leiden. Längst ist klar, dass sie durch zu viel Zuckerkonsum und Bewegungsmangel entsteht. Wie ernst ist die Lage in Sachen Zucker und Fettleibigkeit für uns Menschen?
Dr. Kip:
Sehr ernst. 2012 waren es noch rund 30 Millionen Menschen, die aufgrund von Adipositas gestorben sind; laut WHO 2015 bereits 43 Millionen. In meiner Praxis diagnostiziere ich mittlerweile bei jedem dritten Patienten Adipositas. Und die Diabetes-Patienten werden immer jünger.
Team Gesundheit GmbH:
Also kann man nicht mehr von Altersdiabetes sprechen?
Dr. Kip:
Nein. Die Zeiten sind vorbei. Ein Beispiel aus meiner Praxis soll zeigen, wie ernst die Lage ist, wenn auch nicht repräsentativ: Mein jüngster Typ-2-Diabetes-Patient ist 17 Jahre jung.
Team Gesundheit GmbH:
Das heißt, dass der Zuckerstoffwechsel schneller zusammenbricht, weil Menschen frühzeitiger verzuckern?
Dr. Kip:
Und, dass dadurch die Folgekosten für die Behandlungen größer werden. Prognosen zufolge soll bereits in zehn Jahren jeder Vierte deutschlandweit an Diabetes Mellitus erkrankt sein. Da gehen ja auch jede Menge Gefäß- und Nervenerkrankungen mit einher. Die Prognosen gehen dann von 240 Mrd. Euro Behandlungskosten pro Jahr aus.
Team Gesundheit GmbH:
Ist das nicht eigentlich ein Paradoxon: Die Menschen erschaffen sich mit ihrem eigenen Verhalten ja förmlich einen Virus, der ihre eigene Stoffwechsel-Software zum Abstürzen bringt?
Dr. Kip:
Ja. Das Verhalten bewirkt eine Abwärtsspirale. Der Fast-Food-Lebensstil inklusive Zuckersucht bewirkt im Körper quasi eine Insulin- und dann eine Leptin-Resistenz, die bewirkt, dass der Mensch immer träger wird.
Team Gesundheit GmbH:
Warum bewirkt das Leptin diese Bewegungsfaulheit?
Dr. Kip:
Durch Leptinresistenz wird dem Körper Nahrungsmangel signalisiert, mit dem Ziel Energie zu sparen. Dies geht mit Trägheit und Hungergefühl einher. Eine Reaktion, die in der Steinzeit lebensrettend war.
Team Gesundheit GmbH:
Ab in die Höhle in den Winterschlaf?
Dr. Kip (lacht):
Genau. Nur, dass es damals sinnvoll war, denn im Winter gab es ja – im Gegensatz zu heute – kaum etwas zu essen. Da hat Trägheit dafür gesorgt, zu überleben.
Team Gesundheit GmbH:
Und, weil es damals noch kein Fast-Food und Foodora gab?
Dr. Kip:
Ja. Der heutige Lebensstil ist der Grund dafür. Zuviel Fruchtzucker sorgt nicht nur für eine Verfettung der Leber und für Diabetes. Vermehrte Insulinausschüttung und Insulinresistenz scheinen die Harnsäurekonzentration im Blut zu erhöhen, indem sie die Harnsäureausscheidung hemmen. Das sorgt für die Entzündung von Gelenken: Gicht.
Team Gesundheit GmbH:
Ernährungsbildung, also grob gesagt über Zuckerkonsum aufzuklären, wird oftmals kritisiert. Ist sie als Präventionsstrategie gescheitert? Wie sehen Sie das?
Dr. Kip:
Das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass der stete Tropfen den Stein höhlt. Ich glaube aber auch, dass die Politik etwas tun muss. Das Werbeverbot für Tabak hat schließlich auch etwas gebracht. Neben einem Werbeverbot muss meiner Meinung auch die Zuckersteuer her. Das hat in anderen Ländern auch geholfen: In England hat die Zuckersteuer auf zuckerhaltige Getränke bewirkt, dass die Hersteller den Zucker stark reduzieren. Enthalten sie mehr als fünf Gramm Zucker pro hundert Milliliter, werden 18 Pence Steuer pro Liter fällig. Die neue Steuer soll helfen, die Fettleibigkeit zu verringern. Die Coca-Cola Marken Fanta und Sprite sind so für den britischen Markt quasi steuerfrei heruntergezuckert worden.
Team Gesundheit GmbH:
Es wird ja oft von einer „Armensteuer“ gesprochen. Sprich: Die Menschen mit geringerem Einkommen – die Annahme ist, dass sie die Softdrinks vermehrt kaufen – seien so die Leidtragenden. Unter anderem wird kritisiert, dass sie dann einfach auf andere süße Produkte ausweichen würden oder die höheren Kosten in Kauf nehmen …
Dr. Kip:
In Mexiko wurde die Zuckersteuer 2014 landesweit eingeführt. Hier gibt es also schon Belege für das Verbraucherverhalten: Hier konnte man einen Rückgang um 17 Prozent bei Konsumenten mit einem niedrigen Einkommen verzeichnen.
Team Gesundheit GmbH:
Was empfehlen Sie Unternehmen in dieser Sache?
Dr. Kip:
Unternehmen können ihre Mitarbeiter unterstützen: auf hochwertiges Mittagessen in der Kantine setzen und auf Kooperationen mit Fitnessstudios; denn neben Aufklärungskampagnen, politischem Einsatz und einer – freiwilligen auf Selbstdisziplin setzenden – Zuckerreduktion jedes Einzelnen, hilft nur ein regelmäßiges Muskeltraining gegen die Epidemie.
Team Gesundheit GmbH:
Welche Entwicklungen finden Sie positiv und was konnten Sie durch Ihre Vorträge erreichen?
Dr. Kip:
Wenn sich politisch in unserem Land zwar in dieser Sache nichts zum Positiven geändert hat, finde ich, dass das Bewusstsein für Zucker in der Gesellschaft zugenommen hat. Die Medien greifen es immer wieder in Talkshows und Dokumentationen auf. Es freut mich sehr, wenn Zuhörer ein zweites Mal in meinen Vortrag kommen, und mir von ihrer Ernährungsumstellung, ihrem Sport und dadurch bewirkten gesundheitlichen Erfolgen berichten.
Team Gesundheit GmbH:
Danke für Ihre Zeit und das Gespräch, Herr Dr. Kip.
In aller Kürze: So entsteht Diabetes
Die Bauchspeicheldrüse ist bei der Verarbeitung von Zucker in vollem Einsatz. Und das ist auch gut so. Denn erst, wenn es ihr – grob gesagt – nicht mehr gelingt, mithilfe ihres Insulins den Zucker aus dem Blut in die schon mit Zucker zugestopften Körperzellen zu drücken, bricht der Zuckerstoffwechsel zusammen: ein Diabetes entsteht.