Direkt zu Jahresbeginn suche ich den Draht zu Dr. Carsten Stephan, Geschäftsführer der Team Gesundheit GmbH. Wir wollen aufs Jahr zurückblicken und uns der Frage widmen, was es bedeutet, ein resilientes Unternehmen zu sein. Wie kann die eigene Einstellung Schubkraft in Krisenzeiten verleihen? Was bedeutet das fürs eigene und für andere Unternehmen und kann Digitalisierung ein Selbstläufer sein?
Wibke Roth:
Herr Dr. Stephan, das letzte Telefongespräch haben wir für die Mini-Serie „Corona and me“ Mitte April 2020 geführt. Damals, vor gut anderthalb Jahren, setzte in Deutschland mit der Flatten the Curve Strategie die bisherige Normalität plötzlich aus. Wir erlebten alle hautnah, was eine Pandemie ist. Vieles veränderte sich rasch. Von heute auf morgen standen alle vor der Aufgabe, vergleichslos schnell neue Routinen zu finden. Kurz vor jenem Telefonat hatten Sie proaktiv Ihre Unternehmensstrategie angepasst und waren gerade dabei, eine sinnvolle Strategie bezüglich der Kontaktbeschränkungen im Arbeitsalltag auszuarbeiten. Sie überlegten, wie einerseits Kosten sinnvoll eingespart werden können, aber auch, wo Investitionen nötig und wichtig sind. Bereits im Februar 2020, also noch bevor klar war, dass sich das Coronavirus zu einer Pandemie entwickelt, hatten Sie einen Investitionsschwerpunkt auf die IT-Infrastruktur gelegt und trotz der harten Einschnitte an diesem festgehalten. Rückblickend war diese Entscheidung goldrichtig, sie hat ein Arbeiten von daheim über das gesamte Unternehmen hinweg langfristig möglich gemacht. Homeoffice bzw. virtuelle Zusammenarbeit ist für Sie mittlerweile ein fester Baustein geworden. Aber nicht nur hier können Sie auf positive Veränderungen blicken.
Vor Beginn der Pandemie hatten Sie 170 Beschäftigte, heute arbeiten rund 200 Menschen für Team Gesundheit. Eine starke Leistung für ein Unternehmen, das zunächst sehr hart von der Pandemie getroffen wurde. An Krisen zu wachsen, erinnert mich an das Steh-auf-Männchen-Prinzip und an den Begriff Resilienz. Gibt es so was in der Manager-Sprache für ein Unternehmen?
Dr. Carsten Stephan:
Ja, da liegt einiges hinter uns seit unserem letzten Gespräch. Resilienz ist hierbei sicher ein wichtiges Schlagwort. Hören wir das Wort Resilienz, denken wir meist nur an die persönliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress. Doch auch Unternehmen können und vor allem sollten resilient sein. Ein resilientes Unternehmen zeigt in Krisen einerseits nötige Stabilität, andererseits aber auch gleichzeitig Flexibilität. Organisationale Resilienz bedeutet nämlich, die Fähigkeit zu besitzen, Störungen zu antizipieren und auf diese in gewisser Weise vorbereitet zu sein. Aber auch auf Störungen zu reagieren bzw. sich an diese anpassen und schließlich aus ihnen lernen zu können. Es geht also nicht um ein schlichtes Überleben, sondern darum zu wachsen, sich weiterzuentwickeln.
Wibke Roth:
Wie fällt nun Ihr Fazit aus: Ist Team Gesundheit ein resilientes Unternehmen?
Dr. Carsten Stephan:
Ich denke, die Corona-Krise hat uns gezeigt: Wir sind ein resilientes Unternehmen – ja! Wir waren und sind stabil genug, um dieser enormen Krise standzuhalten und gleichzeitig flexibel genug, um darauf zu reagieren. Im Nachgang kann man sagen, dass wir die Vorgänge aufmerksam beobachtet haben und bereit waren, neue Pfade zu beschreiten und umzudenken, auch wenn das im ersten Moment große Veränderungen bedeutet. Wir haben uns stets gefragt: „Was müssen und können wir jetzt tun?“ Diese Frage stand sowohl in der Geschäftsführung als auch in allen Teams im Vordergrund. Wir haben alle an einem Strang gezogen. Nachdem wir inzwischen schon viele Anpassungsprozesse vollzogen haben bzw. mitten dabei sind, beschäftigt uns aktuell, was wir aus der Corona-Krise lernen können und wie wir uns für die Zukunft wappnen.
Wibke Roth:
Unter anderem haben Sie auch Kurzarbeit eingeführt, sich aber direkt strategisch mit der Frage befasst, wie sich Gesundheitsförderung und Prävention unter Wahrung eines nie da gewesenen Abstands verändern wird.
Dr. Carsten Stephan:
Ja, auch für uns war es leider nicht möglich, ohne die Kurzarbeit auszukommen. Aufträge sind von heute auf morgen weggebrochen und an vielen Stellen war unsere gewohnte Arbeitsweise so nicht mehr möglich. Gleichzeitig haben wir aber eben intensiv an einer Lösung gearbeitet, unsere Arbeit trotz der Umstände wieder voll aufnehmen zu können – also auch aktiv aus der Kurzarbeit herauszukommen.
In diesem Zusammenhang war und ist es unabdingbar, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie Gesundheitsförderung und Prävention aktuell, zukünftig und auch bezüglich neuer, unbekannter Krisen aussehen kann.
Wibke Roth:
Die Pandemie war und ist eine große Herausforderung. Worin sind Sie konkret besser geworden?
Dr. Carsten Stephan:
Unsere digitale Arbeitsstruktur und Zusammenarbeit sind wahrlich auf einem ganz anderen Niveau. Wir arbeiten trotz Abstand sehr gut zusammen, vielleicht sogar besser als vorher. Wir geben unseren Beschäftigten einen deutlichen Vertrauensvorschuss und zentral ist ein selbstbestimmtes Arbeiten. Ich empfinde unsere Arbeitsweise jetzt als effizienter und gleichzeitig als besser vereinbar mit privaten Verpflichtungen oder Herausforderungen, die sich durch die Corona-Krise ergeben.
Wibke Roth:
Was hat Ihrem Unternehmen besondere Schubkraft gegeben?
Es ist die Motivation, die Eigeninitiative und die Innovationskraft jedes einzelnen Beschäftigten und das Zusammenwirken innerhalb des jeweiligen Teams. – Dr. Carsten Stephan
Dr. Carsten Stephan:
Es ist die Motivation, die Eigeninitiative und die Innovationskraft jedes einzelnen Beschäftigten und das Zusammenwirken innerhalb des jeweiligen Teams.
Wibke Roth:
Ihre Geschäftsbereiche waren ganz unterschiedlich von der Pandemie betroffen. Das Gesundheitsmanagement lebt von der Präsenz vor Ort: von Inspiration und Motivation, die Trainerinnen und Trainer durch ihren jeweiligen Spirit transportierten. Einfach bisherige Konzepte per Teams, Skype und Co eins zu eins zu übernehmen, stand augenscheinlich nicht auf Ihrer Agenda.
Dr. Carsten Stephan:
Wie gesagt, ist es wichtig, sich nicht daran zu klammern, wie etwas einmal war, sondern zu überlegen, wie langfristig ein neuer Weg aussehen kann. Natürlich haben wir als direkte und kurzfristige Lösung unsere Kundinnen und Kunden zunächst per Video oder mit Übertragungen via Konferenzschaltung unterstützt. Einige Leistungen können auch ohne Probleme eins zu eins virtuell stattfinden. Aber bei vielen Angeboten ist das eben nicht zielführend, sondern hier gilt es zu überlegen, wie sie neu gestaltet werden können. So haben wir schon im März 2020 damit begonnen, uns mit der Frage zu befassen, wie sich Gesundheitsförderung und Prävention langfristig verändern wird und wie wir darauf reagieren können und müssen. Wir haben uns gefragt: „Wo wollen wir hin?“, „Wo entwickeln wir uns weiter?“ und „Wie agieren wir in Tätigkeitsbereichen, in denen wir in der nächsten Zeit keine Erholung mehr erwarten?“. So sind beispielsweise E‑Learnings, Videoformate und virtuelle Gesundheitsparcours entstanden. Aber auch die Beschäftigten derjenigen Bereiche, die nicht akut betroffen waren, haben sich mit der Frage beschäftigt, was sie dazu beitragen können, damit es dem Unternehmen als Ganzes weiterhilft. Nicht in blinden Aktionismus zu verfallen, sondern offen, innovativ und überlegt den Herausforderungen langfristig zu begegnen war und ist uns wichtig.
Wibke Roth:
Was glauben Sie: Wie werden Unternehmen hierzulande branchenübergreifend das Szenario der Kontaktbeschränkung durchstehen? Zum Beispiel mit Blick auf die Personalentwicklung?
Dr. Carsten Stephan:
Sicherlich sind persönliche Kontakte wichtig und Kontaktbeschränkung erschweren erst einmal vieles. Aber man muss sich auch unbedingt von dem Gedanken „Früher war alles besser“ befreien. Es ist anders und wird sicherlich auch anders bleiben. Das bedeutet jedoch nicht, dass man es anders nicht auch gut machen kann. Es ist ungewohnt und es ist nun wichtig, dass man sinnvolle und neue Wege schafft, die eben keinen kurzfristigen Kompromiss darstellen. Innovativ sein, neue Ansätze verfolgen, kreativ werden – das ist wichtig. Genau das ist Resilienz.
Über alle Branchen hinweg ist man sich einig, dass man nicht warten kann, bis alles vorbei ist. Das betrifft z. B. auch die Frage, wie man gesamtgesellschaftlich Kontakte beschränkt, in Unternehmen aber zulässt. Aktuell finden Unternehmenslenkende branchenübergreifend, dass 2G+ ein guter Weg ist – auch mit Blick auf die Personalentwicklung. Wenn sich die Pandemie und Erkenntnisse jedoch verändern, kann es durchaus sein, dass ein anderer Weg der gangbare wird.
Wibke Roth:
Lassen Sie uns zu einem anderen gesamtgesellschaftlichen Thema kommen, dass durch die Pandemie befeuert wurde: das Sitzen. Jugendliche sitzen mit 10,5 Stunden seit der Pandemie noch mehr als der durchschnittliche Deutsche mit 8,5 Stunden. Warum setzen Sie auf Angebote, die weiter vor die Mattscheibe locken? Es klingt paradox, Beschäftigten digitale Maßnahmen anzubieten, um sie etwa zu mehr Bewegung abseits des Bildschirms zu ermutigen: Warum ist der digitale Kommunikationskanal jedoch trotzdem genau der richtige Weg?
Dr. Carsten Stephan:
Momentan ist der digitale Weg jener, der trotz Pandemie uneingeschränkt genutzt werden kann. Corona hat Präsenzangebote bzw. Sportangebote streckenweise immens eingeschränkt bzw. eine ganze Zeit lang unmöglich gemacht hat. Diese Angebote müssen nun also sehr vielfältig gedacht werden. Außerdem bringt es nichts, den moralischen Zeigefinger zu heben. Die digitale Welt ist Lebenswirklichkeit, das heißt, dass sich hier Menschen aufhalten, dass dort nach Hilfen und Antworten gesucht wird. Auf diesem Weg werden Menschen erreicht. Es geht bei Produkten für Jugendliche – wie bei anderen auch – darum, sie dort abzuholen, wo sie sind und immer wieder niederschwellige Anreize zu setzen, etwas am Verhalten zu ändern. Oder eben Informationen zu bieten, die eine Hilfe sein können. Bei Erwachsenen gehen wir diesen Weg u. a. über Bewegungsvideos. Videos per se sind keine Selbstläufer, um jemanden in Bewegung zu bringen. Es bedarf hier natürlich einer stabilen Verhaltensänderung. Diese kann begleitet und unterstützt werden. Ein gemeinsames Training online kann z. B. ein wichtiger Motivationsfaktor sein bzw. den Ausschlag geben, das eigene Verhalten zu verändern und somit auch Bewegung abseits des Bildschirms zu erreichen. Digitale Bewegungsangebote bedeuten ja nicht, dass ich vor dem Bildschirm sitze und mich berieseln lasse. Sie bedeuten, dass lediglich die Quelle digital ist und ich mich dann wie in meinem Sportkurs bewege. Diese Möglichkeit ist dadurch sogar sehr niederschwellig, da ich mein Training zu Hause und ggf. sogar zu meiner Wunschzeit durchführen kann.
Wibke Roth:
Das stimmt.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Stressbelastung und ‑erleben. Im vergangenen Blogbeitrag Ihres Unternehmens bezieht sich die Autorin auf den aktuellen DKV-Report, wonach die 30–45-Jährigen mit einem Anteil von 33 Prozent zu der Altersgruppe mit dem höchsten Stresserleben zählen. Sie empfinden die Stressbelastung als hoch oder sehr hoch. Die Corona-Situation befeuert das zusätzlich: Sie stellt für die meisten Menschen eine starke zusätzliche Belastung dar. 62 Prozent geben an, dass ihr soziales und geistiges Wohlbefinden schlechter ist als üblich. Zu dieser Altersgruppe zählt auch ein Großteil Ihrer Beschäftigten. Und Sie selbst auch…
Dr. Carsten Stephan:
Ja. Auch ich spüre die Stresszunahme. Und natürlich auch viele Kolleginnen und Kollegen. Die Pandemie, die verschiedenen Regelungen, Kontaktbeschränkungen oder Quarantäneregeln wirken sich massiv auf unser Leben – beruflich wie privat – aus. Wir versuchen dabei aus Unternehmenssicht zu reagieren. Dazu zählt z. B., dass wir die Kernarbeitszeit aufgelöst und flexible Arbeit fast rund um die Uhr sowie auch am Wochenende ermöglicht haben. Jedem soll es möglich sein, seine Arbeitszeit mit geringem Stress ausüben zu können. Mit dem Arbeiten von Zuhause kommen natürlich auch ganz andere Themen wie Störungen oder Unterbrechungen auf. Also zählt es ebenso zu unserem Selbstverständnis, dass Kinder im Meeting auftauchen können oder es an der Wohnungstür oder Haustür klingelt.
Wibke Roth:
Sie haben in unserem vergangenen Telefonat gesagt, dass Sie davon überzeugt seien, dass Sie diese Krise zusammen mit Ihrer Belegschaft, aber auch Gesellschaft einigermaßen gut überstehen würden, wenn „(…) wir zusammenhalten und wenn wir schnell lernen, wie der Umgang damit zur Normalität werden kann. (…)“ Da ist was Wahres dran gewesen. Was wünschen Sie Ihren Beschäftigten und Ihren Kundinnen und Kunden für 2022?
Dr. Carsten Stephan:
Ich glaube, das gilt auch heute noch. Ich wünsche uns allen weiterhin, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen und einen Weg finden, mit ihr dauerhaft umzugehen.
Wibke Roth:
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Stephan!
Wer ist Dr. Carsten Stephan?
Dr. Carsten Stephan ist seit Ende 2011 Geschäftsführer der Team Gesundheit Gesellschaft für Gesundheitsmanagement mbH. Er ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder. Zu seinen Ausbildungen zählen das Studium der Pflege- und Gesundheitswissenschaft und die Promotion in Medizinwissenschaften.