„Toxic Positivity“ klingt erstmal wie ein Widerspruch in sich – wie kann Positivität toxisch sein? Dahinter steckt ein psychologisches Phänomen, zwanghaft positiv denken zu wollen und dabei „negative“ Emotionen nicht zuzulassen. „Negativ“ steht dabei in Anführungszeichen, da damit keine Bewertung gemeint ist. Gefühle lassen sich nicht in gut oder schlecht einteilen und haben alle ihre Daseinsberechtigung. Genau diese geht beim schädlichen Optimismus verloren.
Wann wird Optimismus schädlich?
Es wirkt zunächst wie eine schöne Eigenschaft, die Dinge positiv zu betrachten, optimistisch auf Situationen zu blicken und sich auf das Gute konzentrieren. Wo wird also die Linie von einem gesunden Optimismus hin zu toxischer Positivität überschritten? An der Stelle, an der „negative“ Emotionen nicht validiert werden, eine herausfordernde Person in einer schweren Lebenslage keinen Raum für Trauer, Ärger oder Enttäuschung bekommt und sobald die Realität und die mit ihr einhergehenden Ungerechtigkeiten und ungleichen Chancen nicht als solche anerkannt werden.
Konkret spiegelt sich der Hang zum zwanghaften Optimismus in Sätzen wie „Kopf hoch“, „Sieh‘ es positiv“, „Mach das Beste draus“ oder „Das wird schon wieder“ wider. Gut gemeint und mit dem Ziel, Mut zu machen, können derartige Aussagen dennoch in schwierigen Situationen die Gefühle der anderen Person kleinreden und Authentizität verhindern. Toxic Positivity wird außerdem sichtbar in einer Haltung, in der davon ausgegangen wird, dass jeder Mensch alles erreichen kann, wenn er oder sie sich nur hart genug anstrengt. Dabei werden Unterschiede in den Voraussetzungen sowie Privilegien völlig außer Acht gelassen.
Goodman beschreibt Toxic Positivity als „Band-Aid on a bullet wound” (Goodman, 2022): Die Haltung ist nicht hilfreich, sie führt eher dazu, dass Gefühle unterdrückt und somit echte Verletzlichkeit, Verantwortung und auch Nähe verloren gehen.
Warum es „negative“ Emotionen braucht
„Negative“ Emotionen sind häufig ein Wegweiser, den wir nicht vermeiden, sondern wahr- und annehmen sollten. Diese Gefühle können uns helfen, zu erkennen, in welchen Bereichen wir uns Veränderung wünschen, Grenzen aufzeigen und auch als Antrieb und Motivation dienen, die dafür nötigen Schritte in die Wege zu leiten. Ohne „negative“ Emotionen findet wenig Selbstreflexion und somit auch weniger persönliche Weiterentwicklung statt.
Toxic Positivity am Arbeitsplatz
Der Zwang, die Dinge immer positiv zu sehen und „negativen“ Gefühlen keinen Raum zu geben, kann auch in der Arbeitswelt spürbar werden. Er zeigt sich in einer mangelnden Fehlerkultur, fehlender Transparenz und dem Schweigen über Probleme sowie authentische Gefühle.
Toxischer Optimismus am Arbeitsplatz kann dazu führen, dass sich Mitarbeitende weniger gesehen und somit auch weniger wertgeschätzt führen. Eine Studie der University of California konnte zeigen, dass Mitarbeitende, die keinen Raum für ihre wahren Gefühle bekommen, sich unzufriedener, gestresster und mit der Zeit ausgebrannter fühlen (Westphal, 2022).
Was bedeutet das für Unternehmen? Es braucht auch am Arbeitsplatz Raum für „negative“ Emotionen, konstruktive Kritik und eine gesunde Fehlerkultur.
Das Leben – und eben auch die Arbeitswelt – bestehen aus Nuancen, aus einer weiten Range an guten und schlechten Erlebnissen und Tagen, aus positiven und „negativen“ Emotionen. Dies zu verleugnen und alles vermeintlich Schlechte zu unterdrücken, hat langfristig negative Auswirkungen auf die mentale und körperliche Gesundheit sowie Leistungsfähigkeit. Toxischen Optimismus abzulegen, ist somit ein wichtiger Bestandteil einer gesundheitsfördernden, wertschätzenden Unternehmenskultur.
In unserer „Mental Health Week 2024” widmen wir dem Thema Toxic Positivity einen eigenen Vortrag. Sichern Sie sich und Ihren Beschäftigten jetzt Ihren Platz und erfahren Sie mehr darüber, wie ein realistischer Optimismus aussehen kann.