Wer kennt sie nicht?! Mythen rund um die Gesundheit lassen sich bevorzugt im Web und in sozialen Medien verbreiten. Sie finden sich aber auch in Frauenarztpraxen, im Marketing und natürlich in der Werbung samt Verharmlosungstaktik oder im Lobbyismus: Der Blogbeitrag handelt von Fake-News im Gesundheitsbereich, einer fragwürdigen iGe-Leistung zur Prävention, einer Anti-Auszeichnung für vermeintlich gesunde Ernährung und einer Ampel-Kennzeichnung zur freiwilligen Umsetzung.
„Mythen erheben einen Anspruch auf Geltung für die von ihnen behauptete Wahrheit. Kritiker sehen ihn im Gegensatz zum Logos, einer Erklärung durch Verstand und Beweis. Ein Mythos ist in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Erzählung. Er beschreibt auch Personen, Dinge oder Ereignisse von großer symbolischer Bedeutung oder auch einfach nur eine falsche Vorstellung oder Lüge.“
Fake-News und Mythen
Fake-News sind weit verbreitet. Im Prinzip kann man Falschmeldungen, die ihre Absender auf Webseiten oder sozialen Medien verbreiten, als moderne Mythen im Kurzformat bezeichnen. Mittlerweile sind bewusst gestreute Falschinformationen nicht nur in der Politik ein beliebtes Mittel, um zu provozieren oder – in Richtung eines gewünschten Verhaltens – zu manipulieren. Auch Verbreiter von Gesundheits- und Medizinthemen können Ziele verfolgen, die weniger der Gesundheit als dem eigenen Geldbeutel dienen. Denn nicht alle Informationen sind seriös: Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung wird gegen diese Falschinformationen wenig unternommen. Organisationen wie Medwatch oder Cochrane haben sich auf die Fahne geschrieben, medizinische Falschmeldungen zu entlarven. Grundsätzlich gilt: Je reißerischer die Meldung formuliert ist, desto höher die Chance, dass es sich um Übertreibungen, Halbwahrheiten oder Mythen handelt.
Halbwahrheiten in der Medizin
Wenn Frauen ihren Gynäkologen aufsuchen, bieten ihnen die Mitarbeitenden oder die Ärzte selbst hin und wieder oder regelmäßig ergänzende Früherkennungsuntersuchungen an. Oft handelt es sich dabei um eine sogenannte „Individuelle Gesundheitsleistung“ (IGeL). Versicherte zahlen diese Leistung selbst. Wie Medwatch berichtet, stimmen Frauen dem Angebot häufig zu – in der Hoffnung, dass sich so eine schwere Erkrankung vermeiden lässt. Doch nicht für jede IGeL gilt dies uneingeschränkt: Ein Negativbeispiel ist das Ultraschall-Screening der Eierstöcke. Viele Frauenärzte bieten diese Früherkennungsmaßnahme dennoch an. Nutzen und Wirkung des Screenings sind wissenschaftlich nicht belegt. Krankenkassen übernehmen die Kosten daher nicht. Das Ding mit den Halbwahrheiten ist, dass sich mit ihnen zusätzliches Geld verdienen lässt – besonders gut funktioniert das mit Dingen, die Angst machen. In dem Artikel verweist die Autorin auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und weitere Stimmen, die diese IGeL kritisch sehen: So auch das wissenschaftliche Team des sogenannten IGeL-Monitors, das seit vielen Jahren gängige Selbstzahler-Leistungen untersucht, hat den Ultraschall bei Eierstockkrebs analysiert und bewertet diese individuelle Gesundheitsleistung als negativ.
Werbelügen in der Lebensmittelindustrie
Die Lebensmittelindustrie greift zur Bewerbung ihrer Produkte ebenso zum Mythos, beispielsweise in Form von leeren Versprechungen oder gar Lügen. Besonders dreiste Werbelügen zeichnet der sogenannte „Goldene Windbeutel“ aus: Ende 2019 haben fast 70.000 Verbraucherinnen und Verbraucher die „Kinder-Tomatensauce“ des Bio-Herstellers Zwergenwiese für diese Anti-Auszeichnung gewählt (53 Prozent). Das ist nach Angaben der Verbraucherschutzorganisation foodwatch, die Initiator des Windbeutels ist, in der Geschichte des Windbeutels das eindeutigste Abstimmungsergebnis, das es jemals gab. Die für Kinder beworbene Tomatensauce war für den Goldenen Windbeutel nominiert, weil sie mehr als doppelt so viel Zucker enthält wie die Sauce für Erwachsene. Dabei empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Saucen für Kinder gar keinen zugesetzten Zucker enthalten sollten. Zwergenwiese hatte sein Produkt nach der Nominierung damit verteidigt, dass „kein zugesetzter Kristallzucker“, sondern Apfeldicksaft enthalten sei. Doch die WHO definiert auch Zucker aus Fruchtsaftkonzentraten als freien bzw. zugesetzten Zucker, dessen Konsum reduziert werden sollte. Immerhin: Zwergenwiese hat den Preis nach foodwatch-Angaben als erster Hersteller angenommen.
Kennzeichnungen von Lebensmitteln funktionieren auf freiwilliger Basis
Der Nutri-Score soll die neue Nährwertkennzeichnung für Lebensmittel in Deutschland werden. Die Lebensmittelampel schafft eine klarere Kennzeichnung von Fett, Zucker und Salz in den Produkten. Bislang gilt die sinnvolle Kennzeichnung jedoch nur auf freiwilliger Basis für die Lebensmittelindustrie. Anhand der Lebensmittelampel Nutri-Score sollen Verbraucherinnen und Verbraucher auf einen Blick erkennen, wie viel Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz ein Lebensmittel enthält. Sie sollen so dazu animiert werden, im Supermarkt zu gesünderen Produkten zu greifen. Die Nutri-Score-Ampel wurde von unabhängigen französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelt und wird bereits in Frankreich und Belgien verwendet, Spanien und Portugal haben die Einführung angekündigt.
Damit die gute Idee überall in Europa umgesetzt wird, hätten es die EU-Staaten einheitlich regeln müssen. Das ist ihnen aber nicht gelungen. Eine EU-weite Verpflichtung scheiterte nach Angaben von foodwatch vor allem am Widerstand der großen Lebensmittelkonzerne. Einige Länder haben trotzdem eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel eingeführt, so wie Frankreich den Nutri-Score. Auch die deutsche Regierung will eine Kennzeichnung der Lebensmittel, konnte sich aber lange nicht entscheiden, welches von vier möglichen Modellen eingeführt werden soll. Eine Variante ist der sogenannte Wegweiser Ernährung. Erst nach einer Umfrage unter Konsumenten hat sich Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) dafür entschieden, in Deutschland ebenfalls den Nutri-Score einzuführen. Verpflichtend ist die Lebensmittelkennzeichnung leider nicht, doch einige Lebensmittelhersteller und Supermärkte wollen den Nutri-Score bei ihren Produkten einführen. Der Europäische Verbraucherverband, deutsche Verbraucherzentralen, foodwatch und andere befürworten Nutri-Score.
Um nochmal auf den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zurückzukommen: Es geht im Leben nicht immer um wissenschaftliche Evidenz. Grundsätzlich glaube ich, dass der Homo sapiens mit seinem berühmten Bauchgefühl in der Lage ist, das Richtige für sich auszuwählen. Und das Richtige ist manchmal einfach: interessiert bleiben, Neues lesen oder hören, über das gelesene oder gesprochene Wort nachdenken, in sich hineinfühlen – und dann zu entscheiden, was man mit dieser Information anfängt. Eine Information darf ruhig in den internen Papierkorb verschoben werden, wenn die inneren Warnsignale blinken. 78.500 Facebook-Interaktionen hat übrigens die Falschmeldung „Pharmaindustrie geschockt – Studie belegt: Ungeimpfte Kinder sind signifikant weniger krank“ von Anonymousnews.ru gebracht. 2017 habe diese Fake-News laut BuzzFeed.News zu mehr Facebook-Interaktionen geführt als bei Spiegel Online, Zeit Online oder FAZ.net. Das Ding: Die hinterlegte Studie, die sogar in Fachblättern veröffentlicht wurde, hatte jedoch solche methodischen Mängel, dass das Fachjournal die Veröffentlichung des Abstracts zurückzog.
Wenn Wissenschaftler für Fake-News geschmiert werden, kommt das dicke Ende
Das erinnert an die Low-Fat-Lüge der 1960er Jahre: Bei dieser bewussten und lancierten Falschmeldung ging es sogar soweit, dass sich die Zuckerindustrie mithilfe bestochener Wissenschaftler Seriosität erkaufte und einfach dem Fett statt dem Zucker die krankmachende Wirkung zuschrieb. Konkret sollte „die Wissenschaft“ als Ablenkungsmanöver den Zusammenhang von Zuckerkonsum, Adipositas, Diabetes und koronaren Herzerkrankungen herunterspielen. Die Veröffentlichung der Falschmeldung im Time-Magazine hat bis heute gesundheitliche Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Reißerisches reist oft mit und durch die Übertragungsgeschwindigkeit gibt es auch noch mehr zu hören und lesen. Bleiben Sie neugierig, aber bleiben Sie auch kritisch und vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl – oder besser: nehmen Sie sich die Zeit dafür!