Redaktionskonferenz mit Chris und Natalie via Teams. Natalie: „Wo bleibt eigentlich Chris?“ Ich: „Weiß ich nicht.“ [Natalie und ich daten uns rasch ab: Insgesamt haben wir zusammen weniger Zeit als geplant, da noch ein noch dringenderer Termin dazu gekommen ist.] Nach fünf Minuten ertönt eine Stimme aus dem Off: „Haha.“ Natalie: „Chris. Bist du das?“ Chris: „Ja.“ [Kamerabild überträgt sein Gesicht.] Chris weiter: „Haha. Ich habe mich bis gerade gefragt, wo ihr beiden steckt. Dachte schon, ihr hättet mich versetzt. Bis ich gemerkt habe, dass ich im Vorschaubild der Kameraeinstellungen vergessen habe, auf teilnehmen zu klicken.“ Die Konfi beginnt – wie so oft – mit einem Lachen. Nicht über Chris, sondern über technische Geschicke, die wohl allen Menschen immer ‘mal wieder missglücken, seit über die Bildschirme dieser Welt vermehrt Gesichter, Gedanken und unsere Wohnzimmer übertragen. Ob Corona der Gesellschaft so Fluch oder Segen beschert, sei erstmal dahin gebloggt.
Tücken der Technik und andere Homeoffice-Facetten
Seit wir auch hier im Blog über Corona berichten, ist es für den Socialmedia-Verantwortlichen Chris, die Marketingverantwortliche Natalie und mich üblich, von daheim zu konferieren. Natalie hat bereits referiert, ohne ihr Mikro anzuschalten, ich habe Chris dreimal ein Buchcover hochgehalten, und ihm dazu etwas erklärt; wie sich zeigte, wusste er nicht, was ich meinte, da ich für ihn nicht sichtbar war, mein Vorschaubild für mich schon. Noch Fragen zur Technik im Homeoffice?
Und, um auf ‘mal auf den Punkt beziehungsweise zum Headline-Bezug zu kommen: Wenn schon Menschen, die sozusagen per Berufung gewohnt sind, ihre Gedanken digital – ob mit oder gegen dazugehörige Technik – auszutauschen; sich mit Redaktionsplänen ihren Alltag zu strukturieren; zwischendurch für ihre Sport- oder Bewegungseinheiten sorgen; und sich für Textergüsse bei der Wahl zwischen redaktionellem Großraumbüro und den eigenen vier Wänden gern für letzteres entscheiden; ist diese Frage wohl gestattet: Wie kommen dann digitale Aliens, Organigramm-Liebende oder Freunde gut gefüllter Großraumbüros mit den Homeoffice-Facetten zurecht?
Über diese Auswirkungen in unterschiedlichen Berufsgruppen, Branchen und dem Menschsein jenseits des Jobs geht es hier zwischen den Zeilen mit einem Augenzwinkern weiter. Übrigens hatte das Recherchezentrum Correctiv herausgefunden, dass in Deutschland bisher wenig erforscht ist, welche sozialen Gruppen besonders stark von der Pandemie betroffen sind und welche Rolle zum Beispiel Armut oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen spielen (Quelle: journalist/ 4/2021).
Eine Journalistin, Verwaltungsmitarbeitende und die Homeoffice-Pflicht
„Ich will nicht ins Homeoffice“, titelt Tagesspiegel-Autorin Heike Jahberg in ihrem Kommentar am 20. Februar 2021. Die Juristin lebt und arbeitet in Berlin. Sie findet es richtig, dass die Menschen in der Coronakrise zu Hause arbeiten sollen. Eine Homeoffice-Pflicht, wie sie für Berlin diskutiert und dann erstmal zu den Akten gelegt wurde, gehe ihr aber zu weit. Jahberg schreibt: „Mir persönlich tut es gut, Arbeit und Privates zu trennen. Die technische Ausstattung im Büro ist viel besser als zu Hause. (…) Ich habe große Bewunderung für alle Kolleginnen und Kollegen, die von zu Hause arbeiten. Sie leisten Großartiges. Aber ich arbeite besser und schneller, wenn ich im Büro bin.“
Sie habe im Verlag ein kleines Einzelzimmer. Beim Verlassen trage sie eine FFP2-Maske. Weil im Verlag schon seit Corona-Beginn das Homeoffice die Regel sei, treffe sie dort kaum jemanden. Für den Weg zur Arbeit nehme sie, wenn möglich, das Rad. Falls es schneie oder regne, weiche sie auf die wenig befüllte U‑Bahn-Linie aus. Warum also wolle man ihr verbieten, zur Arbeit zu gehen? Völlig grotesk werde es laut Jahberg, wenn man sich die Berliner Verwaltung ansehe: „Gerade einmal zwölf Prozent der Beschäftigten haben die technischen Voraussetzungen, um im Homeoffice zu arbeiten“, schreibt sie und ergänzt: „Irgendwann sollen es 17 Prozent sein, derzeit werden neue Notebooks angeschafft. Das heißt im Umkehrschluss: Bei einer Pflicht zum Homeoffice sitzen mehr als 80 Prozent der Bediensteten untätig zu Hause. Ernsthaft?“ Ihr alternativer Vorschlag: „Verschieben wir die Homeoffice-Pflicht, bis auch die Verwaltung mitmachen kann. Dann bin ich wahrscheinlich in Rente.“
Frauen, Männer und ihre Rollen bei Haushalts-Pflichten im Homeoffice und ihre Rollen in der Selbstständigkeit
Die neue Arbeitsnormalität ist natürlich nicht nur eine Frage von Rechten und Pflichten. Sie zeigt auch, welche Rollen in dieser Gesellschaft etabliert sind. Laut einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben während des ersten Lockdowns 2020 vor allem Mütter die Kita- und Schulschließungen kompensiert und ihre Kinder selbst betreut – oft neben der Arbeit. Dadurch verdoppelte sich der Anteil jener Familien in Deutschland, in denen Frauen fast vollständig nach den Kindern schauten – im Vergleich zu 2019 von etwa acht auf 16 Prozent. Sie kümmerten sich demzufolge in mehr als jeder vierten Familie auch allein um den Haushalt. Lediglich in fünf Prozent der Haushalte übernahmen Männer diese Arbeit in Gänze.
Die rund 4,2 Millionen Selbstständigen in Deutschland haben in der Corona-Pandemie häufiger Einkommenseinbußen hinnehmen müssen als abhängig Beschäftigte, die meist über das Kurzarbeitergeld abgesichert sind. Selbstständige Frauen, die rund ein Drittel aller Selbstständigen ausmachen, hat es dabei laut dieser Veröffentlichung nochmals härter getroffen als selbstständige Männer.
Schulklassen, Lehrende und ihre neuen Rollen als Zukunftsbauer
Das Homeoffice von Schulen heißt neudeutsch Homeschooling. Schon weit vor der Coronapandemie hat das Weltwirtschaftsforum prognostiziert, dass 65 Prozent aller Grundschulkinder später in Berufen arbeiten werden, die es heute noch nicht gibt. Das war 2015. Überhaupt nehmen Unsicherheit durch Volatilität in Zukunft weiter zu: „Durch technologische Innovation, den demografischen Wandel und andere Megatrends wird sich die Lebens- und Arbeitswelt der Zukunft fundamental von der heutigen unterscheiden«, erläutert Julia André, Leiterin des Bereichs Bildung der Körber-Stiftung. Berufsorientierungsangebote sollten deswegen viel stärker als bisher Jugendliche dabei unterstützen, selbst Zukunftsszenarien zu entwickeln und sich ihrer Interessen, Stärken und Gestaltungsmöglichkeiten bewusst zu werden.
Genau hier setzt das kreative und gestalterische Projekt #MissionUtopia an. „Durch die Auseinandersetzung mit beispielsweise dem Klimawandel oder der Digitalisierung erfahren junge Menschen viel über Möglichkeiten der individuellen Mitgestaltung“, erklärt Aileen Moeck, Gründerin von »Die Zukunftsbauer« und Zukunftsforscherin in einem Text der Körberstiftung, die diese Mission der Zukunft fördert. »Während sie gemeinsam mit ihren Lehrkräften auf Zukunftsreise gehen, entwickeln sie Antworten auf solche Herausforderungen, wodurch ganz neue Berufswünsche entstehen können. Schülerinnen und Schüler beginnen dann zu überlegen, wie sie zu solchen Berufen gelangen«, ergänzt Moeck.
Positive Bilder von der Zukunft: Erziehende für Roboter und Datenpolizei
Wie anstrengend die Pandemie gerade für Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern oder Elternteile, für Lehrerkräfte für systemrelevante Berufe, zu denen ich hier ausdrücklich Kunstschaffende mitzähle, auch sein mag: Was ich an dem Projekt der Körber-Stiftung so mag ist, dass Schülerinnen und Schüler und Lehrerkräfte mit #MissionUtopia zu Zukunftsbauern werden. Die Kinder haben es positiv erlebt, sich in Berufsbilder der Zukunft einzudenken, statt in der Angst der Gegenwart zu erstarren. Zu solchen neuen Berufen zählen beispielsweise Erziehende für Roboter und die Datenpoliziei.
Neue Strategien für Veränderungen anstoßen: So hatte oder hat es Buthan vor
Neue Strategien zu entwickeln, anstatt alte Systeme zu bedienen, bringt Fortschritt. Im Dezember 2019, also noch bevor die erste Covid-19-Erkrankung in dem Königreich bestätigt wurde, titelte der Indian Express: „Bhutan will Lehrer, Ärzte und Pfleger zu den bestbezahlten Beamten des Landes machen.“ Die Regierung von Bhutan spricht von einem „großen strategischen Schritt“, um Hierarchien in der Gesellschaft zu verändern, heißt es in dem Zeitungsbericht*. Menschen, die sich für die Gesellschaft einsetzen, die lange und unter großer Belastung arbeiten und häufig noch am Wochenende ‘ran müssen, sollen nicht nur Anerkennung genießen, sondern diese Anerkennung auch im Geldbeutel spüren. Schließlich – so die Schlussfolgerung – zahle Sinn allein keine Miete.
*Anm. der Redaktion: Ob Bhutan das Vorhaben im Zuge der Pandemie noch umgesetzt hat, konnte ich zum Redaktionsschluss nicht herausfinden. Ich bleibe dran.