Homeoffice für Müller, Meier, Schmidt: Gibt es eigentlich Erhebungen, die belegen, wie sich die unerwartete Situation von daheim zu arbeiten, auf den einzelnen Menschen in seinem individuellen Beruf oder in Berufsgruppen auswirkt?
„Die Pandemie kam vom Après-Ski in Ischgl und endete erst später in den Hochhäusern von Köln-Chorweiler“, schreiben die Autoren im Aufmacher der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 9. Mai 2021. Die Überschrift: „Corona trifft gerade Arme.“ Die Autoren Konrad Schuller und Justus Bender haben recherchiert, dass es einen blinden Fleck in der Forschung gibt. Der führt letztendlich dazu, dass die gesundheitliche Ungleichheit* in Deutschland nur selten untersucht wird. Dabei ist Gesundheit eine sehr individuelle Angelegenheit.
Die Ursachen für die Ungleichheit sind naheliegend: Arme Menschen können Ansteckungen weniger leicht entgehen. Sie wohnen eng, fahren oft U‑Bahn, viele können nicht zu Hause arbeiten, weil das Homeoffice quasi berufsbedingt für sie nicht möglich ist. Nicht jedem ist das Arbeiten von daheim überhaupt vergönnt.
Wie schon im vorangegangenen Artikel über das Homeoffice, kommt mir wieder die Richtigstellung des Recherchezentrums Correctiv in den Sinn: Es ging um eine sensible Veröffentlichung der Bild-Zeitung. Das Netzwerk hatte herausgefunden, dass ein Zitat von RKI-Chef Peter Wieler aus dem Zusammenhang gerissen war: Demnach gebe es einen hohen Anteil von Intensivpatienten mit Migrationshintergrund. Die Aussage lässt sich jedoch nicht seriös tätigen, weil in Deutschland bisher wenig erforscht ist, welche sozialen Gruppen besonders stark von der Pandemie betroffen sind und welche Rolle zum Beispiel Armut oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen spielen (Quelle: journalist/ 4/2021).
Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
Die Berufsgruppen interessieren mich ja in Zusammenhang mit Corona und der Homeoffice-Situation. Ich wende mich an die Mitarbeitenden der Bundesagentur für Arbeit, die mich an deren Forschungseinrichtung – das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) – verweisen. Das Ergebnis: Die einzige – grobe – Aufschlüsselung nach Berufen, die die Forscherinnen und Forscher dort bisher zu diesem Thema gemacht haben, ist als Forumsbeitrag veröffentlicht. Die Analysen dort beziehen sich allerdings auf Daten aus der Vor-Corona-Zeit und erlauben daher keinen Rückschluss auf die aktuelle Situation. Natürlich gibt es weitere Informationen zum Homeoffice, aber eben nicht das, was mich für diesen Beitrag eigentlich interessiert hätte.
Aktuell sind diese Erhebungen über Menschen, die im Homeoffice arbeiten, die zum Veröffentlichungszeitpunkt des vorangegangenen Beitrags noch nicht vorlagen: Diese zwei aktuellen Online-Befragungen des IAB, in welchem Ausmaß sich die Homeoffice-Nutzung in Deutschland seit der Pandemie verändert hat, welche Hindernisse dabei abgebaut wurden und wie sich Beschäftigte die eigene Homeoffice-Nutzung in der Zukunft vorstellen. Zu Beginn der Pandemie arbeiteten demnach 81 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die nach eigener Einschätzung die Möglichkeit dazu hatten, ganz oder teilweise von zu Hause. Die große Mehrheit der Homeoffice-Nutzenden sei demzufolge mit dessen aktuellem Umfang zufrieden (lt. den Autorinnen und Autoren der LPP-Beschäftigtenbefragung sind das 3 von 4 Beschäftigte), rund 60 Prozent nähmen Homeoffice als hilfreich und als wenig oder nicht belastend wahr und die meisten Beschäftigten im Homeoffice empfänden ihre Arbeit als effizienter als vor der Pandemie.
Die Abbildung zeigt unter anderem dies: Während 2017 noch 70 Prozent der Beschäftigten ohne Homeoffice-Nutzung die erschwerte Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen als Hindernis anführten, traf dies während der Pandemie nur noch auf 19 Prozent im April/Mai, 24 Prozent im Juni/Juli und 18 Prozent im September/Oktober der zum jeweiligen Zeitpunkt ausschließlich im Betrieb Arbeitenden zu.
Stimmungsbilder und Schlaglichter jenseits statistischer Erhebungen
Ich kann die Entwicklung, dass die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen ein Hindernis für die Arbeit im Homeoffice sein kann, nachvollziehen. Lässt sich da vielleicht der Zeitraum eingrenzen? Mit einer Entwicklung zu Beginn der Pandemie bis jetzt? Ich frage bei Correctiv und bei einem Bildungsanbieter an, was sie dazu herausgefunden haben, ob es Erhebungen zu Berufen und Homeoffice oder sonstige Erkenntnisse zum Thema gibt. Wenn es keine Erhebungen gibt, frage ich schlaglichtartig Verhaltensweisen von Firmen zur Sache ab, befrage das Recherchenetzwerk Correctiv zur einem ihrer Veröffentlichungen zum Thema und finde Beispiele, wo das Homeoffice steuerlich für einige Berufsgruppen fast nachteilig geworden wäre, weil sie Grenzpendler sind. Fangen wir bei der Bildung an.
Erfahrungen mit Homeoffice-Webinaren eines Bildungsanbieters
Ivonne Peters ist Bildungsmanagerin & Consultant bei der ProContent gAG, der Akademie für Journalismus, PR und Kommunikation. Informationen zu Berufsbildern wertet das Unternehmen nicht aus. Als die Corona-Pandemie im Jahr 2020 mit ihrer ersten und zweiten Welle die Wirtschaft forderte, auch jene Mitarbeitenden aus Branchen und Berufsgruppen von daheim arbeiten zu lassen, denen das vor der Pandemie gar nicht oder nur unregelmäßig einmal pro Woche oder pro Monat gestattet war, verzeichnete sich bei ProContent für die Webinare zum Thema Homeoffice diese Entwicklung ab: „Grundsätzlich gab es von April bis Juli 2020 branchenübergreifend eine starke Nachfrage sowohl von Verlagen, Verwaltungen, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie von kirchlichen Organisationen nach Seminaren zur Selbstorganisation im Homeoffice. “, sagt Ivonne Peters. Während es bei diesen Seminaren vor allem um Fragen geht, wie man zum Beispiel mit Ablenkungen daheim umgeht und der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen aufrecht gehalten werden kann, entwickelte sich mit der – nennen wir es – zunehmenden gesellschaftlichen Verstetigung des Homeoffices im Jahr 2021 bei ProContent ein anderer Trend für das Arbeiten vor den heimischen Bildschirmen: „Webinare zu Führung, Moderation und Organisation im virtuellen Raum sind jetzt stark nachgefragt“, erklärt sie.
Teile dieser Entwicklungen – wie zum Beispiel, dass das Aufrechterhalten des Kontakts zu Kolleginnen und Kollegen vor der Pandemie noch als Hinderungsgrund angesehen wurde, mit der Übung und dem Verstetigen aber augenscheinlich abgebaut wurde – decken sich mit den Erhebungen des IAB.
Erfahrungen eines Recherchenetzwerks mit Menschen in ihren Berufen
Die Journalisten Miriam Lenz und Justus von Daniels recherchieren bei Correctiv laut Claim für die Gesellschaft. Sie haben über ein eigens ins Leben gerufene Corona Crowdprojekt Menschen verschiedener Berufsgruppen ihre Geschichten schreiben lassen. 1.500 Menschen haben ihnen nach eigenen Angaben über den CrowdNewsroom geschrieben, wie sich die Corona-Krise konkret auf sie auswirkt. Die beiden haben einige von ihnen im Frühjahr 2020 mehrere Wochen lang begleitet. Zu finden sind die Geschichten über den Fall ins Bodenlose, über Angst und eine vage Hoffnung im Artikel „NICHT FAIR!!!“. Natürlich geht es hier auch ums Homeoffice: Unter der Überschrift: „Die Alleinerziehende“ steht zum Beispiel: „Seit dem 27. April 2020 dürfen in Brandenburg Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden in die Notbetreuung gehen. Knapp sechs Wochen waren sie vollkommen allein gelassen. Allerdings gilt eine Arbeit im Homeoffice im Regelfall weiterhin als Betreuungsmöglichkeit für Kinder. Myriam K. würde deshalb in ihrer bisherigen Situation wahrscheinlich ihre Kinder immer noch nicht in die Kita geben können. Doch sie hat Glück: Seit Anfang März hat sie neben ihrer selbständigen Tätigkeit eine kleine Anstellung, die sie seit der Kita-Schließung im Home-Office ausübt. Seit Ende April muss sie aber in der Firma anwesend sein. Deshalb können ihre Kinder seit dem 27. April in die Kita.“ Auf Nachfrage, ob das Correctiv die Menschen und ihre berufliche Lebenssituation – neben der Alleinerziehenden noch die Grafikerin, die Grundschullehrerin und die Pflegerin – weiterverfolgt hat, und, ob da auch das Homeoffice thematisiert wird: „Die Arbeit im Homeoffice war dabei nur einer von vielen Aspekten, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben“, schreibt Lenz. Einige der Protagonistinnen und Protagonisten von damals hätten die beiden in den folgenden Monaten zwar weiterbegleitet. Die Ergebnisse dieser weiteren Recherche sind noch nicht veröffentlicht.
Grenzpendler zwischen NRW, Niederlande, Belgien und die Last der Steuer
Berufspendler, die zwischen NRW, den Niederlanden und Belgien unterwegs sind, um ihr Geld zu verdienen, hätten so ihre Probleme bekommen – zum Beispiel mit der Steuer: Es gibt zum Beispiel zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden fast 50.000 Grenzpendler – viele arbeiten in systemkritischen Berufen. Die Lockdown-Maßnahmen warfen für Berufspendler konkrete Probleme auf. Menschen, die in Deutschland wohnen und beispielsweise in den Niederlanden arbeiten, drohte mit dem Wechsel vom „regulären“ Arbeitsort ins Homeoffice eine steuerliche Neubewertung zu ihren Lasten. Die Rede ist von der sogenannten 183-Tage-Regel. Das Problem konnte durch Vereinbarungen zwischen den Finanzministerien Nordrhein-Westfalens, dem Königreich Belgien und den Niederlanden unbürokratisch geklärt werden: Homeoffice wird durch die sogenannte Cross-Border Taskforce Corona wie Arbeit am üblichen Arbeitsort im Nachbarland bewertet.
„Das, worüber keine Zahlen vorliegen, existiert nicht.“
Wieso es nicht gelingt, zu erforschen, wieso Sterblichkeit und soziale Brennpunkte zusammenhängen, liegt an einer rechtlichen Hürde: Sterbefälle dürfen nicht mit Zensusdaten abgeglichen werden. Das ist ein wichtiger Punkt, den die FAS-Autoren mit Quellen wie Statistischem Bundesamt, Soziologen und Sozialhistorikern sowie dem Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages belegen. Zensusdaten sind gesetzlich angeordnete Erhebungen statistischer Bevölkerungsdaten wie Volkszählungen. Damit könnte sie den Einfluss von sozialen Faktoren auf die Mortalität schwerer untersuchen als Forschende in anderen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien. Der Grund: In den 1950er Jahren ist das Leitmotiv der Forschung die „Mittelstandsgesellschaft“ – und die Benachteiligten dieser Gesellschaft sind so immer mehr ins Abseits geraten. Sarkastisch könnte man mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung zusammenfassen: Das, worüber keine Zahlen vorliegen, existiert nicht. Im Moment existiert meines Wissens noch keine Übersicht über das Homeoffice, den Menschen und individuelle Berufe oder Berufsgruppen.
* Die Sterblichkeit in benachteiligten Gebieten liege um bis zu sieben Prozent höher als anderswo. Herangezogen werden Ergebnisse des Robert-Koch-Instituts (RKI).