Teilzeit ist Trend – zumindest bei der Betrachtung des steigenden Anteils von Beschäftigten, die keiner klassischen 40-Stundenwoche nachgehen. Eine reduzierte Stundenanzahl bedeutet dabei aber nicht gleichzeitig eine Reduzierung des Stresslevels. Im Gegenteil! Auch wenn laut verschiedener Studien der Großteil der teilzeitarbeitenden Belegschaft mit dieser Situation zufrieden ist, gibt es dennoch eine Vielzahl von möglichen Stressoren. Beleuchten wir aber erstmal die allgemeine Faktensituation.
Deutschland: Top 3 bei der Teilzeitquote
Jeder vierte Arbeitnehmer in Deutschland geht einer Teilzeitbeschäftigung nach. Damit liegen wir im EU-Vergleich auf dem 3. Platz, hinter Österreich und den Niederlanden. Betrachtet man nur die weiblichen Beschäftigten zwischen 20 und 64 Jahren sind wir sogar Vize-Europameister: In dieser Altersspanne arbeiten mehr als 46% in Teilzeit. Das sind sage und schreibe 15% mehr als der EU-Durchschnitt! Die deutschen Männer liegen hingegen mit einer Teilzeitquote von 11% genau im europäischen Mittelfeld. Mitarbeitende in Teilzeit arbeiten dabei durchschnittlich 21,5 Stunden in der Woche.
Die 2019 eingeführte Brückenteilzeit hat an der Verteilung zwischen den Geschlechtern übrigens nur marginal etwas verändert. Diese sieht vor, dass es allen Beschäftigten in Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern zusteht, für mindestens ein Jahr und maximal fünf Jahre die Arbeitszeit zu reduzieren und danach wieder problemlos in Vollzeit zurückkehren zu können.
Doch welche Gründe führen dazu, dass Mitarbeitende diesen Schritt gehen und ihre Stunden reduzieren? In den seltensten Fällen verwirklichen diese in der neugewonnen Zeit ihre lang gehegten Träume, wie zum Beispiel eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin zu absolvieren oder nebenberuflich eine Alpaka-Farm zu eröffnen. Im Normalfall führen hingegen familiäre Verpflichtungen, wie die Gründung einer Familie oder die Pflege von Angehörigen dazu, dass die Betroffenen (zeitweise) ihre Stunden reduzieren. Trotz dem geschlechterübergreifenden Wunsch von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dies jedoch meistens noch Frauensache.
Doch wird man noch für voll genommen, wenn man nicht voll da ist?
Eigentlich ist es doch ein schöner Gedanke: Du gehst nur die Hälfte der Zeit arbeiten und kannst dich in den „gewonnenen“ Stunden um deine Familie – oder wahlweise doch die Alpakas – kümmern. Doch genau hier liegt schon der erste Knackpunkt – nirgendwo ist man zu 100% verfügbar! Auf der einen Seite kannst du durch die Arbeit und den damit einhergehenden Verpflichtungen deiner Familie nie ganz gerecht werden, doch auf der anderen Seite bist du auf der Arbeit auch nicht dauerhaft präsent. Und das bekommen die Teilzeitbeschäftigten zu spüren: Laut der Hans-Böckler-Stiftung nehmen Mitarbeitende in Teilzeit deutlich seltener an Schulungen teil und fühlen sich bei der Kommunikation innerhalb des Betriebes oft ausgegrenzt. Das ist natürlich kein Wunder, wenn Termine dauerhaft am Nachmittag stattfinden oder einfach Leistung mit Präsenz gleichgesetzt wird.
Medikamentengabe oder Meeting? Ballspielen oder Bilanzen? Irgendwas bleibt eigentlich immer auf der Strecke! Damit das eher die Ausnahme statt der Regel ist, ist Organisationstalent gefragt – und davon haben die meisten Beschäftigten in einer Teilzeitposition mehr als genug. Der Versuch, die Arbeiten, die andere in acht Stunden erledigen, einfach in einem Bruchteil der Zeit zu bearbeiten, gehört dabei zum täglichen Brot. Wenn du nämlich anspruchsvolle Arbeiten trotz Teilzeit ausführen kannst, willst du diese auch um jeden Preis behalten. Denn in der Praxis ist das leider nicht immer gegeben – Teilzeitjobs werden hier oft mit Arbeiten gefüllt, die nicht unbedingt der Qualifikation der Mitarbeitenden entsprechen.
Überforderung vs. Unterforderung
Beschäftigte, die den ganzen Tag am Limit ihrer Zeit sowie Ressourcen arbeiten und fieberhaft den Spagat zwischen Familie und Beruf meistern wollen, sind verständlicherweise oft mit der Situation überfordert, was sehr belastend sein kann. Was man jedoch ebenfalls nicht unterschätzen sollte, sind die Ausmaße einer dauerhaften Unterforderung. Wie bereits oben beschrieben, kann es leider zu großen Unterschieden zwischen den Aufgabengebieten, die in Vollzeit oder aber in Teilzeit ausgeführt werden, kommen. Natürlich ist es in der Praxis nicht immer händelbar, gewisse Arbeiten und Verantwortlichkeiten in einer verringerten Stundenanzahl zu leisten, doch dieser Versuch wird manchmal auch einfach gar nicht unternommen.
Gerade Frauen, die nach der Elternzeit in ihren Beruf zurückkehren möchten, erleben dieses Vorgehen und müssen sich damit arrangieren, dass sie nun nicht mehr das vorherige Aufgabengebiet ausführen können (oder dürfen). Leider kommt es so zu einer Unterforderung, wenn die täglichen Aufgaben nicht der Qualifikation und dem eigenen Anspruch entsprechen – und diese kann genauso belastend und kräftezehrend sein wie eine dauerhafte Überforderung. Hinzu kommt, dass mangelnde Aufstiegschancen sowie eine fehlende Perspektive zu einer hohen Unzufriedenheit führen.
Deutschland braucht familienfreundliche Arbeitgeber
Doch wie kann man diese Tücken umgehen oder zumindest abschwächen? Politische Lösungen, wie die zu Beginn erwähnte Brückenteilzeit, sind ein guter Anfang. Doch das Wesentliche muss in den Betrieben und bei den Arbeitgebern geschehen: Teilzeit fördern statt nur zu dulden, die persönlichen Stärken des Einzelnen sehen und einzusetzen, familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen und zum Beispiel die Kernarbeitszeiten dementsprechend ausrichten. Die Möglichkeiten sind vielfältig und letztlich würden alle hiervon profitieren!
Das Team Gesundheit hat diese Praxis übrigens schon seit längerem übernommen: Mehr als ein Drittel unserer Beschäftigten arbeitet in Teilzeit und profitiert von flexiblen Arbeitszeitmodellen, Home Office und sogar von einer Kinderferienbetreuung. Und auch die Aufgabenvielfalt und Verantwortung bleiben dabei nicht auf der Strecke – 42,1% unserer Führungskräfte führen ihre leitende Funktion nicht in Vollzeit aus!
Ein Beitrag von Gastautorin Julia Koch.