Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Gibt es womöglich eine Formel, die alle Menschen glücklich macht? Unsere Blog-Autorin Wibke Roth nahm die Einladung der Buchautorin Maja Göpel an, unsere Welt zwischen Wachstumswahn und Technikversprechen neu zu denken.
Es müsste doch eine Formel geben, die alle Menschen glücklich macht. Durch diese Formel sind wir auf dieser Welt frei von Leid, also zum Beispiel ohne Krieg, Kummer und Karies. Diese Formel funktioniert vereinfacht so: Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb. So dachte ich als Kind. Beziehungsweise ich dachte eher so: Wenn sich alle lieb haben, sind doch alle glücklich, und wenn alle glücklich sind, will doch niemand anderen etwas Böses. Ergo gibt es dann – zum Beispiel – auch keinen Krieg. Dass sich Menschen mit Waffen bekämpfen, machte mir sehr zu schaffen, denn in meinem kindlichen Universum gab es höchstens ‘mal Kummer, wenn ich irgendetwas nicht bekam. Das war wenig. Schließlich war viel Liebe da. Ich hatte meine Familie, Freunde, kam in der Schule mit, durfte Hobbies nachgehen und bekam regelmäßig Essen von Muttern gekocht. Manchmal holte ich mir vor dem Mittagessen auf dem Nachhauseweg am Kiosk Süßkram. Also hatte ich auch ‘mal Karies. Soviel zu meiner Welt. Krieg war unvorstellbar. Und das eigentlich nur, weil ich das Glück hatte, in Deutschland in eine liebevolle Familie hineingeboren zu sein.
Drei Gedanken für den Hirnwindungsshaker aus dem Buch „Unsere Welt neu denken!“
Ersetzen Sie jetzt einmal den Begriff Krieg, indem Sie ihn durch eine differenziertere Brille betrachten und mit diesen Namen taufen:
- Umweltzerstörung,
- Externalisierung sowie
- Rebound-Effekt
- Wir benutzen Begriffe wie Umwelt selbstverständlich in unserem Sprachgebrauch. Ist Ihnen bewusst, dass Sie dadurch einen Strich zwischen sich und der umliegenden Natur ziehen? Das ist eine Grenze, die zeigt, dass wir uns – zunächst lexikalisch – nicht mit der uns umgebenden Pflanzen- und Tierwelt verbunden fühlen. Und, dass das, was wir denken und sagen dazu führt, dass wir etwas tun: Also führen wir quasi Krieg gegen etwas, dessen Teil wir sind.
- Um sich die Externalisierung auf der Zunge zergehen lassen zu können, müssen Sie den Shaker ‘mal kurz etwas langsamer stellen: Wenn andere Menschen und die Umwelt, die ja ein Teil von uns ist, durch unser negatives Verhalten negative Effekte erfahren, ist das nicht nur ungerecht: In der Volkswirtschaftslehre, die ja ein Teil des gesellschaftlichen Marktverstehens und der universitären Lehre ausmacht, bedeuten die unkompensierten Auswirkungen ökonomischer Entscheidungen auf Unbeteiligte – also Auswirkungen, für die niemand bezahlt oder einen Ausgleich erhält – als Marktversagen. Zum Beispiel muss die Allgemeinheit die Folgen von Ticketpreisen für Flugreisen oder Rindfleisch-Preise, in denen die Folgen nicht berechnet sind, tragen. Schließlich tragen CO2- bzw. Methan-Ausstoß in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Es entstehen soziale Kosten, die an anderen Stellen der Welt für die Natur oder die Menschen dort entstehen. Also führen wir hier quasi einen Krieg der Verlagerung und Verdrängung, von dem wir wissen, dass er irgendwann auf uns zurückfällt, weil wir ja Teil dessen sind.
- Wussten Sie, dass die Effizienz selbst dazu führen kann, dass ein effizienteres Produkt mehr statt weniger Nachfrage bewirkt? Das ist zum Beispiel passiert, als Ingenieure Ende des 19. Jahrhunderts die Wohnungsbeleuchtung effizienter machen wollten: Statt des Kohlefadens sollte der Wolframfaden dazu führen, dass der Wirkungsgrad der Glühbirnen höher wurde. Das bewirkte dieser technologische Fortschritt auch. Birnen mit Wolfram benötigten nur ein Viertel des Stroms einer Kohlefadenlampe – und das bei gleicher Lichtausbeute. Nun könnte man meinen, dass mit effizienterer Glühbirnentechnik insgesamt weniger Strom verbraucht wurde. Doch das Gegenteil war der Fall. Dieses nicht ungewöhnliche Paradoxon heißt Rebound-Effekt. Also führen wir auch einen Krieg, der auf falschen Annahmen beruht, denn augenscheinlich bedeuten technischer Fortschritt und mehr Effizienz nicht automatisch weniger Ressourcen.
Was das mit Glück zu tun hat? Ich nehme Sie einmal mit, der Einladung der Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Prof. Dr. Maja Göpel zu folgen: „Unsere Welt neu denken.“ Sie lädt ein, Denkbarrieren wie diese jenseits von Technikversprechen und Wachstumswahn zu durchbrechen. Die gefragte Rednerin ist Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Sie berät Politikerinnen und Politiker. Mit dem Buch hat sie sich mit eigenen Worten einen Befreiungsschlag erarbeitet. Und das hat – grundsätzlich – etwas mit dem Glück aller Lebewesen zu tun.
Ist die Wurzel des Übels eine falsche Vorstellung vom Glück?
Zusammenfassend könnte die Analogie zum Artikel-Einstieg in dieser übergreifenden Frage münzen: Was, wenn die Karies – die Wurzel allen Übels – in einer falschen Vorstellung von Glück keimt? Das Kapitel „Gerechtigkeit“ beginnt die Buchautorin mit einem Zitat des Journalisten und Autoren Anand Giridharadas: „Wir reden viel darüber, mehr zu geben. Wir reden nicht darüber, weniger zu nehmen. Wir reden viel darüber, wovon wir mehr machen sollten. Wir reden nicht darüber, wovon wir weniger tun sollten.“
Also lassen Sie uns anfangen, zu tun, wovon wir weniger tun sollten: Zu glauben, dass wir mit alten Konzepten eine neue Welt schaffen können. Wovon wir mehr tun sollten? Als mutige Konsumentinnen und Konsumenten Kaufentscheidungen so auszurichten, dass die Unternehmen, die schon heute die Innovationen für morgen entwickeln, sich halten und durchsetzen können. Wenn Sie mehr Anregungen benötigen, um Ihre Selbstwirksamkeit als Verbraucherinnen und Verbraucher zu entdecken und zu erkennen, wie alles zusammenhängt, empfehle ich Ihnen dieses konstruktive Buch.
Informationen zum Buch:
Verlag: Ullstein Hardcover
Hardcover
208 Seiten
ISBN: 9783550200793
Erschienen: 28.02.2020