Die tägliche Selbstinszenierung auf Instagram, TikTok, YouTube & Co. gehört schon länger zum Standard von Personen des öffentlichen Lebens. Für Influencer ist dies Beruf und Berufung. Hier ein Filter, da eine Retusche und die „perfekten Körper“ finden ihren Weg in die sozialen Netzwerke. Zur Schau gestellt und auf dem goldenen Tablett serviert, für tausende von anonymen Followern. Oder manchmal auch nicht so anonym, weil parallel fleißig das eigene Selbst inszeniert und in vorauseilendem Gehorsam ebenso online gestellt wird.
Was macht das mit uns Erwachsenen, wenn wir diese Bilder sehen? Schaffen wir es uns davon abzugrenzen und nicht automatisch in eine Art Vergleich mit uns selbst zu rutschen? Oder gar andere dahingehend kritisch zu betrachten?
„An dir ist ja auch gar nichts mehr dran“; „Mit 10 Kilo weniger wärest du richtig hübsch“; „Bist du sicher, dass du noch was essen möchtest?“ Diese Sprüche kennen wir doch alle, wenn wir ehrlich sind.
Punktlandung – da wären wir auch schon beim Thema „Bodyshaming“. Aber was genau haben wir uns darunter vorzustellen?
„Als Bodyshaming bzw. Body-Shaming werden seit dem 21. Jahrhundert Formen von Diskriminierung, Beleidigung, Mobbing oder Demütigung von Menschen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes bezeichnet; insbesondere im Hinblick auf ein Schönheitsideal. Diese Ideale können durch stereotypische Darstellungen in Medien und Werbung verstärkt oder vermindert werden.“
Meghan Green
Eine Studie der Uni Tübingen hat bereits im Jahr 2012 gezeigt, dass übergewichtige Menschen im Rahmen der Personalentscheidung – insbesondere bei der Einschätzung von Führungsqualitäten – schlechtere Karten haben. Besonders betroffen waren Frauen. Nur 6% der Teilnehmerinnen habe man in die engere Wahl genommen, bei einer Bewerbung um eine Abteilungsleitung.
Wenn also wir – als Erwachsene – schon Schwierigkeiten haben, mit diesem Thema umzugehen. Uns selbst dabei erwischen, wie wir uns oder andere kritisch bewerten. Häufig beeinflusst durch ein vorgegaukeltes Schönheitsideal. Wie muss es dann Kindern und Jugendlichen gehen? Die noch auf dem Weg sind, eine stabile Persönlichkeit auszubilden, die sich selbst und ihren Körper lieben lernen müssen. Gerade in dieser Lebenswelt hat Bodyshaming zahlreiche negative Folgen – vom Verlust des Selbstvertrauens bis hin zu körperlichen Krankheiten und psychischen Störungen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Begriff „Bodyshaming“ schon in unseren letzten Artikeln zum Thema Essstörungen, denen wir mit einem umfangreichem Unterrichtsprogramm entgegentreten, gefallen ist.
Doch heute interessiert uns vor allem: Wie fühlt man sich als junger Mensch unter all diesem „Schönheitsdruck“, der einen umgibt? Fragen wir eine junge Dame, vor kurzem 17 Jahre geworden und frisch in die Ausbildung eingestiegen. Sie gehört zur Generation Z und somit zu den Digital Natives 2.0!
Nachgefragt:
Hallo Lea, schön, dass du dir die Zeit nimmst, um mit mir über das Thema zu sprechen. Hast du schon einmal von dem Begriff Bodyshaming gehört
Ja, definitiv. Gerade in sozialen Medien hört man Bodyshaming häufig.
Was verbindest du damit?
Bodyshaming verbinde ich mit Cyber-Mobbing oder allgemein Mobbing. Wenn jemand für seinen Körper und sein Aussehen runtergemacht wird. Egal, ob schwer oder dünn.
Bist du selbst schon mal mit Bodyshaming in Berührung gekommen oder hast bemerkt, dass andere davon betroffen waren?
Gott sei Dank habe ich selbst damit noch keine Erfahrung gemacht. Ich hatte da echt Glück mit, worüber ich froh bin. Aber eine Freundin von mir ist betroffen. Sie hat eine genetische Disposition und Probleme mit der Schilddrüse, was zur Folge hat, dass sie sehr dünn ist. Sie darf sich öfter gemeine Sprüche anhören, wie „Stock oder Strich in der Landschaft“. Das ist natürlich überhaupt nicht nett. Außerdem kann sie ja noch nicht mal etwas dafür. Sie nimmt einfach nicht zu. Mir tut das auch sehr weh, wenn ich mitbekomme, dass sie so darunter leidet.
Ist sie denn direkt angesprochen worden oder kam das über Social Media?
Sowohl über Social Media als auch direkt in der Schule. Das waren Leute, die sie kennen, die sie ein bisschen ärgern wollen. Für die ist das dann Spaß, für sie ist da allerdings überhaupt kein Spaß dabei. Vielmehr kommen dann auch noch Sprüche, wie „Stell dich nicht so an. Sei doch nicht beleidigt.“
Hast du bei anderen schon mitbekommen, dass sie über Social Media von Bodyshaming betroffen waren?
Ich bekomme das nur mit, wenn ich auf Social Media unterwegs bin – auf Instagram oder auch TikTok. Da sind Mädchen, die sind vielleicht nicht ganz so dünn oder vielleicht auch nicht ganz so schwer. Dann brauche ich gar nicht erst die Kommentare zu öffnen, denn man weiß genau, was da drin steht. Das Video oder das Foto hat eigentlich gar nichts mit dem Körper zu tun, sondern es geht um ein ganz anderes Thema. Dann schreibt einer „Boah, ich hätte auch gerne dein Selbstbewusstsein“. Das ist für mich Bodyshaming. Das sagt ihr ja eigentlich direkt: Du musst selbstbewusst sein, denn du siehst nicht gut aus.
Bodyshaming bedeutet ja nicht nur andere abzuwerten, sondern auch sich selbst bzw. den eigenen Körper. Kennst du das auch von dir? Dass du mit deinem Körper persönlich hart ins Gericht gehst?
Ja, ich glaube, da hat jeder schon mal Probleme mit sich selber. Das man mal unzufrieden ist mit sich. Das habe ich auch. Wenn ich merke, jetzt habe ich keinen Sport gemacht oder auch zu viel gegessen. Dann kommt schnell der Gedanke, vielleicht sollte ich mal wieder mehr Sport machen.
Was glaubst du, woher das kommt, dass wir so hart mit uns ins Gericht gehen?
Ich denke, dass es ein bisschen was mit dem heutigen Schönheitsideal zu tun hat. Dass die Menschen sich immer unwohler fühlen. Vor allem präsentieren die Leute sich aber ja auch vollkommen falsch im Internet. Da muss man ja automatisch denken, „Oh Gott, ist sie dünn. Ich wäre auch gerne so schlank“. So kann ja total leicht eine Essstörung entstehen. Ich denke, dadurch, dass durch Social Media alles falsch präsentiert wird und die Leute viel oberflächlicher sind, entwickeln die Menschen größere Komplexe und sind immer unzufriedener mit sich.
Glaubst du, dass das Hauptproblem für Bodyshaming Social Media ist?
Ja, unter anderem auch. Die Leute präsentieren ihr Leben ja vollkommen falsch. Kein Mensch ist perfekt und hat ein perfektes Leben. So wird es in Social Media aber dargestellt. Wobei es ja auch noch andere Medien gibt, wie Zeitschriften. Dort ist das ja auch nicht anders.
Social Media präsentiert also eine Fake Welt, die gar nicht stimmt. Dieses konstruierte Bild sehen wir und die Folge ist unsere eigene Abwertung.
Wann hast du denn dein erstes Handy bekommen? Und seit wann bist du in Social Media unterwegs?
Mein erstes Handy habe ich mit 11 Jahren bekommen, aber Social Media durfte ich erst ab 13 Jahren nutzen. Das kann ich aber verstehen, denn alles, was im Internet ist, bleibt im Internet.
Würdest du sagen, dass es die letzten 3–4 Jahre schlimmer geworden ist mit der glorifizierten Scheinwelt?
Ich würde nicht sagen, dass es schlimmer geworden ist. Es war doch immer schlimm und ein ernstes Thema. Aber ich kann zumindest sagen, dass es nicht besser wird.
Sind deiner Meinung nach mehr Jungs oder Mädchen betroffen?
Ich glaube, man kann das so direkt nicht sagen, spontan denkt man vielleicht Mädchen. Aber Jungs können genauso unzufrieden mit sich und dem Körper sein. Das hat ja nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Hast du abschließend noch einen allgemeinen Tipp zu diesem Thema?
Ich glaube, was viele Menschen vergessen, wenn sie unzufrieden mit ihrem Körper sind, ist, dass jeder andere auf dieser Welt auch seine Probleme hat und gewisse Unsicherheiten immer mal wieder auftreten. Niemand ist doch perfekt und man sollte nicht so sehr darauf achten.
Was zahlt denn wirklich auf unser Selbstbewusstsein ein? Ist es echt so, dass wir zum Beispiel durch OPs oder einen Körperwahn unser Selbstbewusstsein verbessern? Machen wir es nicht eigentlich für andere? Damit die uns besser finden? Ich glaube zumindest, dass es sehr häufig der Fall ist – Schade eigentlich, wenn wir etwas nicht für uns sondern für andere tun.
Natürlich besteht auch eine Gefahr darin, wenn wir zum Beispiel bei extrem starkem Übergewicht sagen, es ist alles gut, lieb dich so wie du bist.
Kennst du die „Body Positivity“- oder die „Body Neutrality“-Bewegung? Da geht man ja weg vom Fokus des äußeren Erscheinungsbildes.
Ja, die kenne ich. Es gibt ja auch „girls support girls“. Ich glaube allerdings, dass dadurch ebenfalls ein Problem entsteht. Denn Menschen mit zum Beispiel 2oo Kilo (ich weiß, es ist jetzt ein Extrembeispiel) sollte bewusst sein, dass es nicht mehr Body Positivity ist, sondern einfach ungesund. Die Folgen dieses Übergewichtes können ja im schlimmsten Falle zum Tod führen. Es soll ja nicht gemein klingen, aber man sorgt sich ja um die Gesundheit. Wir machen den Menschen dadurch ja nicht minderwertiger. Ich sehe die Gefahr darin, dass die Menschen gepusht werden, es sei vollkommen ok und gesund. Wobei das nicht nur für stark Übergewichtige gilt, auch für extrem ungesund dünne Menschen.
Vielen Dank für deine Zeit und deine ehrlichen Worte.
Nach dem Interview habe ich noch längere Zeit darüber nachgedacht, wie schwierig und komplex dieses Thema doch ist. Durch Recherchen habe ich festgestellt, dass die Body Positivity- und auch die Body Neutrality-Bewegung sowohl unterstützt als auch hart kritisiert werden. (z.B.: www.vital.de; www.faz.net)
Als Sportwissenschaftlerin und leidenschaftliche Vertreterin eines gesunden Lebensstils sehe ich durchaus eine gewisse Gefahr in der Verharmlosung von Body Positivity und Body Neutralitiy. Wo die Body Positivity-Bewegung die Maxime vertritt, dass alle Körper schön sind und man alles an sich lieben sollte, rückt die Body Neutrality Bewegung vom Körper weg bzw. wirbt dafür, dass man sich Körpern gegenüber neutral fühlen sollte.
Wir wissen, dass ein sowohl stark übergewichtiger Körper (adipös) oder ein stark untergewichtige Körper ungesund sind. Damit meine ich keinesfalls die Optik, denn Geschmack liegt bekanntlich im Auge des Betrachters; und das ist auch gut so.
Sobald unsere Gesundheit auf dem Spiel steht, auf Grund eines ungesunden Körpergewichts, halte ich ein Verharmlosen und Schönreden im Rahmen dieser Bewegungen für gefährlich. Vielmehr geht es darum, das gesunde Maß wieder zu erlangen. Das gesunde Maß an Essen, an Bewegung. Das gesunde Maß an Schönheit. Der Kampf um Schönheit und die Inszenierung von Schönheitsidealen ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Jedoch wird der Kampf nun mit härteren Bandagen ausgetragen. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Social Media Filterblase nicht unsere Realität ist.
Am Ende möchte ich noch ein paar Tipps gegen Bodyshaming mit an die Hand geben, die uns und anderen dabei helfen können, mit ihrem Körper besser und natürlich umzugehen:
1. Mache dir selbst Komplimente, die nichts mit deinem Körper zu tun haben.
2. Mache anderen Komplimenten, die nichts mit ihrem Körper zu tun haben.
3. Wenn du etwas für deinen Körper tun möchtest, dann tue es für dich und deine Gesundheit – nicht um anderen zu gefallen!
• Mehr zum Thema Prävention von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen!
• Haben Sie Interesse an unserem kostenlosen Virtuellen Vortrag „Social Media und ich“ – Gesundes Aufwachsen zwischen Likes und Bodyshaming”?
Gern senden wir Ihnen den Link zur Aufzeichnung. Kontaktieren Sie uns!