Ein Gorilla springt für einen Moment in den Vortragsraum – der Gast aus dem Tierreich soll die Illusion verkörpern, dass Tiere draußen leben und wir Menschen drinnen. Dabei, so verrät der Referent Martin Morgenstern – und nimmt seine Affenverkleidung ab – stecken immer noch Tiere in uns: „zu 98 Prozent Gorillas, denn wir haben alle eine Anfangsgeschichte. 300.000 Mal zurück auf Anfang war die Mutter meiner Mutter einmal ein Affe.“ Doch das – so sagt der Evolutionspsychologe auf der Eröffnungspräsentation der BGMpro – vergesse man heute mit Blick auf den Menschen im Unternehmen – dessen artgerechte Haltung. Morgenstern begibt sich mit dem Auditorium in die Steinzeit, lässt gemeinsam Wildschweine jagen und den Wollen-Stress – gutes Gefühl beim Laufen – sowie den Müssen-Stress – ungutes Gefühl durch unerwartetes Krachsignal – fühlen.
Leben fern der menschlichen Natur und wieder zurück
Grob gesagt lebt unsere Spezies mit den tierischen Bausteinen in einer Welt, die genau diese natürliche Seite inklusive menschlicher evolutionär bedingter Verhaltensmuster ausklammert.
Mittlerweile gibt es zwar
- App-basierte Treppenchallenges wie Stairtalk, die trotz der immer noch unnatürlichen Umgebung für den tierischen Anteil des Menschen in punkto Ausdauer, Muskelkraft und Challenge sorgen kann,
- Ergometer, auf denen Verwaltungsmitarbeiter der Telekom für den Unternehmenserfolg bewegt statt sitzend in die Pedale treten können,
- Nudging in der Betriebsgastronomie, das mit kleinen, aber gewohnheitsverändernden Schritten in der Kantine dafür sorgen kann, dass sich der unbewusste Autopilot unserer Spezies neudeutsch immer wieder mal von seinem eingefahrenen Programm verabschiedet und sich für die natürlichere und gesündere Kost entscheidet.
Was Nudging in der Kantine bringt und der höhenverstellbare Schreibtisch allein nicht
Eine Pilotstudie der HAW Hamburg von der Fakultät Life Sciences mit über 2.000 Teilnehmern zeigt, dass sich allein durchs Anstupsen der Gäste, sich zwischen Salat und Pommes entscheiden zu dürfen, 16 Prozent mehr gesunde Rohkost und zehn Prozent weniger der fettigen Pommes verkaufen ließen.
Zurück in den Vortragsraum mit den Affen: Um evolutionär gesehen Verhalten zu verändern, braucht es lange Zeit und immer wieder kleine Impulse, die Verhaltensänderungen wachsen lassen. Zum Beispiel die: „Bewegung baut Müssen-Stress ab und Wollen-Stress auf,“ sagt Morgenstern. In kleinen Schritten solle man auch, so Morgenstern, in dem BGM zum Beispiel den höhenverstellbaren Schreibtisch, natürlich mit allem, was die Spezies Mensch braucht, versehen, damit er bewegt bleibt: also auch Freude am Tun mit einem motivierenden Bewegungsprogramm, damit der höhenverstellbare Schreibtisch nach vier Wochen nicht nur noch zur Zierde im Büro steht und der Mitarbeiter – aus quasi von Hause aus anerzogener Muskelschwäche – wieder sitzt.
Atmosphäre schaffen: für die Bedeutung von Gesundheit und für unperfekte Haltung
Zu den kleinen Schritten, die der Spezies Mensch hilft, wieder bewegt und gesünder zu leben, zählen auch diese Prinzipien:
- Die Bedeutung für Gesundheit wiederholen und Programme professionell bewerben: Die Marketing-Experten der Team Gesundheit GmbH präsentierten das Prinzip der Kampagnen-Arbeit. „Gut verpackte Risikowahrnehmung, Handlungsergebniserwartung und Selbstwirksamkeit können den sesshaften Menschen dazu bewegen, sich bei den oft vorhandenen, aber eben nicht beworbenen Gesundheitsprogrammen zu bewegen“, hieß es auf dem Vortrag. So seien bei einer Krankenkasse knapp 200 Mitarbeiter durch professionelle Werbung rund 42 Prozent zu den Gesundheitsprogrammen bewegt worden.
- Statt Empfehlungen auszusprechen, eine innere Haltung gegen das Heldendilemma entwickeln: für eine gesunde Unternehmensentwicklung fordert Keynote-Speaker Frédéric Letzner: „Wir müssen ‘raus aus dem Heldendilemma!“ Dazu zähle, dass Perfektionismus immer noch als positive Eigenschaft gesehen werde, mit der der Mensch im Prinzip versucht, gegen seine Natur effizient zu arbeiten, obwohl längst klar sei, dass nach dem Multitasking-Prinzip zu arbeiten ineffizient sei. Das Problem: „Effizienz lässt sich nicht mit Gelassenheit in Einklang bringen“, sagt Letzner. Und das ist eine Haltung, die er sich für die Unternehmenskultur im Sinne des Menschen wünscht. Die Lösung sei eine innere Haltung, hin zu einem gelassenen: „Ich muss nicht. Ich darf arbeiten.“