Mandy sitzt auf einem Sofa und lächelt in die Kamera. Sie ist 21 Jahre alt und hat Magersucht. Offen und ehrlich erzählt sie, wie sie vor Jahren reingerutscht ist, in diese Krankheit. Und damit ist sie nicht allein. Fast 20 % der Jugendlichen zeigen Symptome eines gestörten Essverhaltens. Eine erschreckende Zahl. Noch erschreckender ist, dass die Zahl der behandelten Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie 2020 um rund 60 % gestiegen sein soll. Auf diese Entwicklung weisen zumindest erste Studien hin.
Schon lange gehören Essstörungen bei uns zu den verbreitetsten psychosomatischen Erkrankungen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, wurde die BKK Initiative bauchgefühl ins Leben gerufen. Seit über zehn Jahren unterstützt sie Lehrkräfte und Eltern, Magersucht, Bulimie & Co. frühzeitig etwas entgegenzusetzen. Bereits mehr als 2.500 Schulen wurden bundesweit mit Unterrichtsmaterial ausgestattet, das Jugendliche in ihrer Resilienz stärkt und für Anzeichen von Essstörungen sensibilisiert.
Die Thematik steht nicht still. So wie sich unsere Welt verändert, so wandeln sich auch die Probleme, mit denen sich Jugendliche heutzutage konfrontiert sehen. Aus diesem Grund wurde das Unterrichtsprogramm bauchgefühl für die Sekundarstufe 1 in diesem Jahr aktualisiert und mit aktuellen Themen, Videos und Audios bestückt. Weiterhin gibt es Beratungs- und Unterstützungsangebote, die dem Voranschreiten der Krankheit entgegenwirken. Diese Angebote umfassen zum Beispiel eine kostenfreie und anonymisierte E‑Mail-Beratung, aber auch Hinweise zu Beratungsstellen und deren Arbeit.
Für eine wirkungsvolle Prävention von Essstörungen heißt es zunächst, das Krankheitsbild zu verstehen, um Symptome und ein eventuell krankheitsförderndes Umfeld erkennen zu können. Hier die Grundlagen im Überblick:
- Essstörungen und Corona – Wie wirkt sich die Pandemie auf das Essverhalten aus?
- Was sind Essstörungen eigentlich und welche Formen von Essstörungen gibt es?
- Welche Gründe gibt es für das Auftreten von Essstörungen?
- Unser Ansatz: Die Initiative bauchgefühl
Die Corona-Pandemie schlägt auf’s Gemüt … und den Appetit
Wir haben es alle gemerkt: Die Corona-Pandemie hat unsere Essgewohnheiten verändert. Auch und gerade die von Kindern und Jugendlichen. Sie litten und leiden noch immer besonders stark unter der Verunsicherung und sehen sich immer wieder mit dem Gefühl des Kontrollverlustes konfrontiert. Mehr Stress in den Familien, weniger soziale Kontakte, fehlende feste Tagesstrukturen, Langeweile und Frust – all das sind Risikofaktoren, die Essstörungen begünstigen oder Rückfälle fördern können.
Corona reißt viele Lücken in den Alltag. Lücken, die Gefährdete versuchen mit Essen zu füllen. Denn indem Betroffene ihr Gewicht stärker kontrollieren, versuchen sie den Kontrollverlust auf anderer Seite auszugleichen.
Die vielen Gesichter der Essstörung
Die meisten Menschen, die den Begriff Essstörung hören, denken sofort an Magersucht. In unserem Kopf erscheint ein typisches Bild: Dünne Arme und Beine. Knochen, die sich deutlich unter der Haut abzeichnen. Und eine Zahl auf der Waage, die viel zu klein für diese Körpergröße ist.
Essstörungen haben jedoch viele Gesichter. Auch solche, die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Bei allen Ausprägungen handelt es sich um ernste und komplexe seelische Erkrankungen. Essen oder Nicht-Essen ist dabei nur ein Symptom. Es ist das Pflaster für die psychischen Verletzungen der Betroffenen.
Der Übergang von gestörtem Essverhalten zu einer krankhaften Essstörung verläuft meist fließend. Oft beginnt alles ganz harmlos mit einer Diät. Wohin diese führen kann, zeigen unsere Kurzbeschreibungen der häufigsten Formen:
Magersucht (Anorexia nervosa)
Bei der Magersucht nehmen die Betroffenen nur noch kleinste Mengen Nahrung zu sich oder halten eine strenge Diät ein. Weil der starke Wunsch besteht, dünn zu werden oder zu bleiben, unterdrücken Magersüchtige ihren Appetit und verlieren mit der Zeit ihr normales Hunger- und Sättigungsgefühl. Obwohl manchmal schon deutliches Untergewicht vorliegt, wird der eigene Körper weiter als zu dick wahrgenommen und die Angst zuzunehmen nicht kleiner. Dies trägt dazu bei, dass die Gedanken ständig ums Essen und die Figur kreisen und das eigene Wunschgewicht immer noch weiter heruntergesetzt wird. Die gelungene Kontrolle des Hungers und der ständige Verzicht auf jede Form des Genusses machen die Betroffenen stolz und erhöhen ihr Selbstwertgefühl.
Bulimie (Bulimia nervosa)
Die Hauptmerkmale der Bulimie sind regelmäßige Essattacken, bei denen in kurzer Zeit große Mengen kalorien- und fettreicher Nahrung hinuntergeschlungen werden. Diese „Fressflashs“ gehen mit einem starken Gefühl des Kontrollverlustes einher. Um eine Gewichtszunahme zu verhindern, schließt sich daran der Versuch an, die Kalorienzufuhr wieder ungeschehen zu machen. Zu den Gegenmaßnahmen gehören selbst herbeigeführtes Erbrechen, Abführmittelmissbrauch, strenge Diäten oder übermäßiger Sport. Genau wie bei der Magersucht ist die Angst, dick zu werden, extrem ausgeprägt.
Esssucht (Binge Eating)
Eine weniger bekannte, aber dennoch häufige Form der Essstörung ist die Esssucht. Ähnlich wie bei der Bulimie leiden die Betroffenen unter wiederholten Heißhungerattacken, bei denen sie die Kontrolle über ihr Essverhalten verlieren und eine übermäßige Menge an meist hochkalorischer Nahrung verschlingen (engl. to binge). Anders als bei der Bulimie werden im Anschluss daran jedoch keine gewichtsregulierenden Maßnahmen ergriffen – das heißt, Esssüchtige erbrechen nicht oder sind auch nicht übertrieben sportlich aktiv.
Auslöser für die Essattacken sind anfangs häufig unangenehme Gefühle, seelische Konflikte oder Stresssituationen. Ängste, Wut und Trauer sowie Überforderung, innere Leere und Einsamkeit werden auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes heruntergeschluckt. Ebenso wie bei anderen Essstörungen verselbstständigt sich das Verhalten mit der Zeit, sodass die Heißhungerattacken schon bald auch ohne besonderen Grund auftreten können.
Die Gründe für Essstörungen
Essstörungen entwickeln sich vor allem in der Pubertät. Also in einer Zeit, in der Jugendliche häufig unsicher und unzufrieden mit ihrem Körper sind, sich einsam und unverstanden fühlen.
Es sind aber immer mehrere Faktoren, die zur Entstehung beitragen. Das können zum Beispiel ein niedriges Selbstwertgefühl, Bodyshaming-Erfahrungen oder fehlende Stressbewältigungskompetenzen sein.
Soziale Medien befeuern das Thema zusätzlich. Oft vermitteln sie unrealistische Schönheitsideale und erzeugen Druck, immer schön, glücklich und erfolgreich sein zu müssen. Noch nie war der permanente Vergleich mit einer Vielzahl von Menschen so omnipräsent. Und scheinbar hat jede Person, die sich in sozialen Netzwerken rumtreibt, die perfekte Figur und das perfekte Leben.
Fakt ist, dass die Krankheit immer mehrere Ursachen hat und alle Lebensbereiche beeinflusst. Das macht sie zwar schwer greifbar, bietet auf der anderen Seite aber auch viele Ansatzpunkte zur Prävention. So können auch Schulen, durch gezielte Maßnahmen im Rahmen des Unterrichts, einen wichtigen Beitrag leisten und frühzeitig für das Thema Essstörungen sensibilisieren.
Mit bauchgefühl gegen Essstörungen
Die Erfahrung zeigt, dass viele Lehrkräfte im Laufe ihrer Tätigkeit mit problematischem Ess- und Diätverhalten bzw. mit Essstörungen von Schülerinnen und Schülern konfrontiert werden. Daher ist der Ansatz der schulischen Prävention so wichtig. Die Schule ist der ideale Ort für Gesundheitsförderung, denn neben der Familie ist sie ein zentraler Bezugspunkt im Alltag von Kindern und Jugendlichen. Hier entwickeln sie kognitive, soziale und emotionale Fähigkeiten. Werte und Normen werden vermittelt und gelebt. Wissen und neue Fertigkeiten erworben. Freundschaften geschlossen.
Doch auch Belastungen gehören für Schülerinnen und Schüler zum täglichen Leben. Überforderung, Konflikte mit Gleichaltrigen, Schwierigkeiten mit Lehrkräften und den Eltern. Auch der Vergleich mit anderen bleibt nicht aus.
Umso wichtiger ist es, Heranwachsenden fundiertes Hintergrundwissen zum Thema Essstörungen an die Hand zu geben. Sie aufzuklären und mit echten Erfahrungsberichten zu sensibilisieren. Die BKK Initiative bauchgefühl hat sich unter anderem die Ziele gesetzt, ein gesundes Essverhalten und einen aktiven Lebensstil zu fördern. Auch die Entwicklung einer positiven Einstellung gegenüber dem eigenen Körper sowie die Stärkung und Stabilisierung des allgemeinen Selbstwertgefühls stehen ganz oben auf der Agenda.
Das in vielen Schulen etablierte und erfolgreiche Unterrichtsprogramm bauchgefühl wurde nun frisch aktualisiert und mit vielen neuen relevanten Themen, wie Social Media, Body Positivity, Diversity und Body Shaming, bestückt. Es richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 6 bis 9 an allgemeinbildenden Schulen und setzt auf positive, ressourcenorientierte Botschaften.
Außerdem spielt es mit verschiedenen Medien, um den Jugendlichen das Thema näher zu bringen. Neue Videos und Audios, ansprechend gestaltete Arbeitsblätter, Bildstrecken und Handouts – all das und noch mehr finden Lehrkräfte gesammelt in einem Ordner inkl. USB-Stick und Download-Bereich.
Weitere Informationen, Themen und Inhalte der Initiative bauchgefühl finden Sie hier.
Fortbildungen für Lehrkräfte, (virtuelle) Elternabende, Gesundheitstage und Workshops machen bauchgefühl zu einem ganzheitlich-nachhaltigen Programm, das als fester und wiederkehrender Baustein in die Gesundheitsförderung an Schulen eingebunden werden kann.
Gemeinsam die Prävention von Essstörungen fördern
Wollen auch Sie beim Thema Prävention von Essstörungen bei Kindern und aktiv werden? Genau jetzt, nachdem die Zeiten der Pandemie Kinder und Jugendliche so schwer belastet haben und noch immer belasten, ist es umso wichtiger, sie emotional zu stärken. Gern unterstützen wir Sie dabei.
Für Lehrkräfte
Als Lehrkraft oder Multiplikator/-in der Schulsozialarbeit oder Beratung können Sie den neu überarbeiteten Materialordner für 74,00 Euro zzgl. Versand und MwSt. bestellen. Senden Sie hierfür einfach eine Mail an: maja.schrader@teamgesundheit.de
Oder wenden Sie sich an eine BKK in ihrer Region, um über eine mögliche Projektkooperation und ‑unterstützung zu sprechen.
Für Betriebskrankenkassen
Sie sind Mitarbeiter:in einer BKK und möchten Essstörungen an Schulen wirksam vorbeugen? Unsere Projektverantwortliche Maja Schrader berät Sie gern.
Maja Schrader,
Prävention in Lebenswelten und Pflege
maja.schrader@teamgesundheit.de
0201- 89 070 309